Erbe-Stadtlauf ohne Zuschauer

Der Tübinger Stadtlauf wird überall gelaufen – bloß nicht in der Innenstadt

Das ist ein Novum: Der Tübinger Stadtlauf findet zwar statt, irgendwie. Aber gelaufen wird er von keinem Teilnehmer oder Teilnehmerin auf der Originalstrecke.

05.08.2020

Einen Laufwettkampf wird es dieses Jahr auf dem Marktplatz nicht zu sehen geben. Bild: Ulmer

Einen Laufwettkampf wird es dieses Jahr auf dem Marktplatz nicht zu sehen geben. Bild: Ulmer

Corona regiert, und das verlangt neue Konzepte, gerade im Sport: Menschen kommen – mal mehr, mal weniger – zusammen und betreiben gemeinsam ihren Sport. Den Erbe-Lauf Tübingen, der seit 26 Jahren stets im September stattfindet, wird es wohl auch im Corona-Jahr 2020 geben. Irgendwie zumindest.

Das hatte der Universitätskanzler Andreas Rothfuß bei der Pressekonferenz in der vergangenen Woche im Institut für Sport (IfS) in Lustnau verkündet. Ansgar Thiel, der Direktor des IfS, ergänzte zügig, dass der Lauf „in einem anderen Gewand“ durchgeführt werden soll. Dieses neue Gewand durfte dann die Organisationsleiterin der Veranstaltung, Judith Wais, vorstellen.

Das Wichtigste: Der Lauf wird nicht an einem bestimmten Tag sein, er wird nicht durch die Innenstadt führen, die Sportlerinnen und Sportler werden nicht gemeinsam laufen, es wird keine Zuschauer geben und auch keine Zeitnahme nach dem Ziel. Übrig bleibt dann noch: Es wird gelaufen. Und zwar haben die Sportler eine Woche Zeit, um sich eine Strecke von 10 Kilometern – das ist die Länge der Wettkampfstrecke in Tübingen – zu suchen, sie zu laufen und selbst die Zeit abzunehmen.

Dazu kann der- oder diejenige beispielsweise das GPS eines Smartphones verwenden und eine entsprechende Sport-App herunterladen. Oder er / sie hat eine GPS-Laufuhr, die die Zeiten und Distanzen präzise berechnet. Das gehört mittlerweile fast zum Standard von Hobbyläufern, ambitionierte Sportler haben so etwas schon lange im Einsatz.

So also können die Läuferinnen und Läufer zwischen dem 20. und 27. September 2020 irgendwo auf der Welt ihre 10 Kilometer herunterschrubben, die Zeit nehmen und sie dann im Online-Portal eintragen. Dazu muss man sich zuerst beim Stadtlauf anmelden, das allerdings ist kostenlos. Wer dieses Jahr auf den verkürzten 3,3-Kilometer-Lauf spekuliert hat, kann auch den unter die Sohlen nehmen. Auch der wird verwaltet und die Zeiten über das Online-Portal erfasst. Bei dieser Variante der Renn-Veranstaltungs-Gestaltung kann sich theoretisch jeder Mensch weltweit anmelden und sich dann auf die Socken machen. Da könnte also Bekele, einer der weltbesten Läufer, in Adis Abeba auf seiner Hausstrecke den Zehner laufen, und dann seine Zeit eingeben, also beispielsweise „27:48“. Wenn das in einem anderen afrikanischen Staat, zum Beispiel in Uganda, Joshua Cheptegei ebenso macht, läuft er indirekt gegen Bekele. Gemeinsam sind sie dann den Stadtlauf Tübingen gelaufen – digital gemessen zumindest.

Der Geschäftsführer des Namenssponsors, Christian Erbe, verweist auf den Gedanken, einfach Sport zu treiben und den „Wettkampfgedanken dieses Mal noch weiter in den Hintergrund zu drängen.“ Allerdings würde es ihn freuen, wenn gerade solche Supersportler wie die Kenianer ebenfalls dabei wären. Es gehe darum, in diesen Zeiten ein Zeichen für die Gesundheit zu setzen, meinte Thiel. Denn gerade die Bewegung sei „in dieser Corona-Pandemie vernachlässigt“ worden. Wais brachte die Familie ins Spiel, als sie meinte, man könne jetzt auch mit dem Hund oder der mit der Familie zusammen laufen.

Der Lauf wird, wie in den vergangenen Jahren, von Studierenden des IfS organisiert. Sie seien zu viert, meinte Wais, die selbst als Leiterin mithelfen wird. Dabei habe der Lauf selbst nie zur Disposition gestanden, erklärte Erbe. „Es war nicht die Frage, ob, sondern wie er ausgetragen wird, und wir hoffen jetzt, dass alles fair abläuft.“

Klar, dass man ohne Aufsicht jedes Ergebnis nach den eigenen Bedingungen manipulieren kann. Die einfachste Lösung: Man lässt jemand anders laufen und nimmt diese Zeit ins Portal. Theoretisch kann man die Strecke sogar mit dem Rad zurücklegen, und sich dann am Ende im Laufhäs fotografieren und das Bild mit der Zeit und Strecke hochladen – kontrollieren kann das niemand. Allerdings befürchte man keine gravierenden Auswüchse, denn die könne man erkennen: „Wenn einer mit einer Zwei-Minuten-Zeit kommt schauen wir schon mal intensiver darauf.“

Der Lauf wurde auch deshalb fortgesetzt, denn „wenn etwas erst mal beendet wird, ist es schwierig, es danach wieder aufzunehmen“, wie der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer feststellte. Und ein Lauf wie gewohnt sei unter Corona-Bedingungen ohnehin nicht machbar gewesen. „In 20er Gruppen einen Stadtlauf zu machen, ist sinnlos“, meinte Frieder Wenk, Mitorganisator von der LAV Tübingen dazu. Finanziell sei das Ganze ohnehin ein Nullsummenspiel: Vieles fiele weg, was Geld kosten würde, heißt es, aber es käme auch nichts herein.

Aber auch auf das reale Trainingsprogramm, ein Klassiker des Stadtlaufs, wird nicht völlig verzichtet. Vom 30. August bis 17. September findet es in Kleingruppen mit Trainern und Athleten der LAV statt. Treffpunkt ist jeweils um 19 Uhr, ab 1. September ab 18 Uhr, an der Fitness-Station auf dem Sand statt. Dort trifft sich sonst auch immer der Lauftreff des Post-SV. Erfahrene Läufer und Läuferinnen leiten das Training wieder an. Werner Bauknecht