Die Reichen stärker zur Kasse bitten?

Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Ruf zu den ökonomischen Folgen hoher Spitzensteuersätze

Die Politik diskutiert die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer. Wir fragten Martin Ruf, Wirtschaftswissenschaftler an der Uni Tübingen, ob der Staat die Reichen stärker zur Kasse bitten soll.

02.01.2020

Martin Ruf warnt davor, Unternehmer mit hohen Steuersätzen aus Deutschland zu vertreiben. Bild: Vivian Viacava Galaz

Martin Ruf warnt davor, Unternehmer mit hohen Steuersätzen aus Deutschland zu vertreiben. Bild: Vivian Viacava Galaz

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Wie wird Reichtum in der Ökonomie definiert und wie viele Reiche gibt es in Deutschland?

Martin Ruf: Es gibt keine allgemeingültige Definition des Reichtums in Deutschland. Was man unter Reichtum versteht, hängt von der Perspektive ab und wird deshalb kontrovers diskutiert. Manche denken, dass bereits Menschen mit einem Jahreseinkommen von 50 000 oder 70 000 Euro die Reichensteuer bezahlen sollten.

Ab welchem Einkommen bzw. Vermögen macht die Einführung einer Reichensteuer Sinn?

Die Politik tendiert dazu, Einkommen und Vermögen immer höher zu besteuern. Aus ökonomischer Sicht muss man das allerdings kritisch betrachten. Denn Steuern ziehen in aller Regel unerwünschte Verhaltensänderungen nach sich. Was ist, wenn plötzlich viele gut verdienende Ärzte aufhören zu arbeiten, weil sie zu viel Steuern zahlen?

Wie hoch ist der Steuersatz, wenn von einer Reichen- steuer gesprochen wird?

Die Reichensteuer wird seit 2007 ab einem Jahreseinkommen von mindestens 250 000.

Euro erhoben. Bei Verheirateten bezieht sich der Begriff auf das doppelte Einkommen. Für diese Einkommensgruppen gilt die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 45 Prozent. Der Steuersatz für Einkommen von mindestens 60 000 Euro jährlich liegt aber bereits bei 42 Prozent. Die Differenz von drei Prozentpunkten ist aus meiner Sicht eher Kosmetik.

Ist die Steuerpolitik ein geeignetes Instrument zum Abbau sozialer Ungleichheit?

In einer sozialen Marktwirtschaft ist die Steuerpolitik mit Abstand das wichtigste Instrument zum Abbau sozialer Ungerechtigkeit. Denn dabei kann Geld beispielsweise von gut verdienenden Einkommensgruppen auf sozial schwache Rentner umverteilt werden.

Wäre die Einführung einer Reichensteuer eher Motor oder Bremse für die Konjunktur?

Das ist schwer zu beurteilen. Für beide Wirkungen gibt es Argumente. Menschen mit geringem Einkommen geben von ihrem Geld mehr für den Konsum aus als wohlhabende Bevölkerungsschichten. Deshalb könnte es die Konjunktur beleben, wenn der gesellschaftliche Reichtum mit einer Steuer auf die einkommensschwächeren Schichten umverteilt wird. Andererseits könnten gut verdienende Berufsgruppen wie Ärzte, Ingenieure oder Unternehmer als Folge einer hohen Besteuerung zu der Meinung gelangen, dass sich Leistung nicht mehr lohnt. Wenn sie deshalb ihr berufliches Engagement reduzieren, würde die wirtschaftliche Entwicklung an Tempo verlieren.

Gibt es in anderen Ländern bereits Erfahrungen mit einer Reichensteuer?

In den skandinavischen Ländern gibt es beispielsweise traditionell höhere Steuern für Reiche. Der Spitzensteuersatz liegt dort bei rund 50 Prozent. Zwar vergleichen viele Wissenschaftler die internationale Steuerpolitik mit Deutschland. Trotzdem sind präzise Aussagen über die wirtschaftlichen Folgen unterschiedlicher Steuersätze schwierig. In einer Ökonomie wirken neben Steuern viele andere Faktoren auf wirtschaftliche Entscheidungen – man denke nur aktuell an die Zollpolitik. Es ist problematisch, diese unterschiedlichen Effekte voneinander zu trennen.

Würden hohe Einkommens- bzw. Vermögenssteuern die Wohlhabenden aus Deutschland vertreiben?

Das passiert jetzt schon. Personen, die viel Vermögen haben, gehen beispielsweise nach Monaco oder in die Schweiz. Diese Tendenz würde mit der Einführung einer Vermögensteuer verstärkt werden. Wenn Firmen deshalb in andere Länder ausweichen, wäre Deutschland in einer schwierigen Situation.
Fragen von Vivian Viacava Galaz