Der Kommentar

Finderglück im Großlabyrinth

15.03.2023

Von Angelika Brieschke

Der häufigste Satz war: „Jetzt wissa mer, warum die emmer so lang verschwonda send.“

Wenn Sie mit diesem Satz was anfangen können, dann waren Sie am vergangenen Samstag auch bei Jeckel in Rottenburg. Also beim allerletzten Abverkauf sämtlicher beweglicher Gegenstände des ehemaligen Haushaltswaren-Geschäfts am Rottenburger Marktplatz.

Wobei die meisten Leute ziemlich sicher gar nicht gekommen waren, um noch irgendwelche Schnäppchen mit zu nehmen, sondern um endlich mal das Jeckel-Großlabyrinth hinter den Verkaufsräumen selber sehen und erleben zu können. Denn dass da unvorstellbar riesige Lagerräume sein mussten, wusste jede, die mal mit einem ungewöhnlichen Kundenwunsch bei Jeckel war. Also zum Beispiel ein Ersatz für einen runtergefallenen Deckel einer Kaffeekanne, die seit Generationen in der Familie weitergereicht worden war. Oder ein Teil von einem Dings, zu dem einem nicht mal eine Bezeichnung einfiel und das einen schon wochenlang mit der Frage gequält hatte, in was für einem Laden man das überhaupt eventuell kaufen könnte: Baumarkt? Elektrogeschäft? Eisenwaren? Wohnaccessoires? Kurzwaren? Antiquitäten? Haushaltswaren?

Dann versuchte man es halt mal bei Jeckel. Das lief ungefähr so ab: Man erklärte einer leidenschaftslos wirkenden Verkäuferin wortreich, was man hoffte, kaufen zu können. Irgendwann drehte sie sich wortlos um, ging nach hinten raus und ließ einen völlig uninstruiert mitten im Laden stehen. Die ersten 10 Minuten war man sich sicher, dass ihr Verhalten Zielstrebigkeit bedeutet hatte und sie sicher gleich mit dem Gewünschten wiederkommen würde. Weitere 10 Minuten verbrachte man mit der Überlegung, ob sie vielleicht doch was gemurmelt hatte. So was wie: „Das kann dauern, das muss ich von ganz unten holen“. Oder: „Das haben wir nicht, ich gehe jetzt in meine Kaffeepause.“

In der weiteren, langen Wartezeit rang man mit der Entscheidung, ob man eine zweite Verkäuferin ansprechen sollte, damit sie nach der ersten schaue. Oder ob man einfach den Laden verlassen sollte. Das aber wäre in jedem Fall falsch gewesen. Denn irgendwann kam die Verkäuferin zurück – und zwar mit dem gewünschten Teil. Und nahm die Freuden-Ausbrüche und Dankesworte der Kundin genauso unbeteiligt zur Kenntnis wie den Suchauftrag.

Und jetzt, seit Samstag, wissen wir also endlich, warum sie so lange verschwunden war. Sie hatte wahrscheinlich nicht einfach nur zwei Treppen nach unten und 50 Meter nach links gehen und dann im hohen Gewölbekeller das Gewünschte vom obersten Regalbrett holen müssen. Wahrscheinlich war dieses Ding zwei Gebäude weiter hinten und fünf Treppen weiter oben im tiefsten Dachwinkel gelagert gewesen. Und wahrscheinlich hatte sie davor noch ein paar Siebenschläfer und Mäuse verscheuchen müssen.

Das Gebäudekonglomerat von Jeckel ist unglaublich: mehrere Häuser, die alle irgendwie miteinander verbunden sind, sehr viele Gänge und Flure (alle mit wandhohen Regalen) und jede Menge Stufen – von der überbreiten Hotel-Treppe bis zur schmalen Dachsteige. Und unter allem: Keller in jeder Ausführung vom Marktplatz bis unter die Obere Gasse. Und all das war mal flächendeckend mit Waren zugestellt. Immer noch: unvorstellbar.