Klingt für zwei
Der spanische Gitarrist Antonio Andrade stellt seine neue Show „Flamenco Vida“ vor
Flamenco ist eine Jahrhunderte alte Kunstform und eine multikulturelle dazu, in der unterschiedliche Kulturen und Musikstile zusammentreffen. Das zeigt der spanische Gitarrist Antonio Andrade mit seinem Quartett in der neuen Produktion „Flamenco Vida“, die er bald in Tübingen zeigt.

Ursula Moreno und Antonio Andrade. Bild: Jesus Sanchez
Wer die Augen schließt, wiegt sich in Sicherheit: Auf der Bühne sitzen zwei Gitarristen, die wunderbar Flamenco spielen. Augen auf – und Irrtum: Da sitzt nur ein Gitarrist, der wunderbar Flamenco spielt. In aufrechter, würdevoller Haltung zupft Antonio Andrade die Saiten. Er macht dies seit nunmehr 48 Jahren, was dem staunenden Zuschauer vielleicht annähernd erklärt, warum ein Mensch so klingt wie zwei.
Im Alter von zwölf Jahren hat der kleine Antonio damals in Spanien angefangen Gitarre zu spielen, mit 15 trat er zum ersten Mal öffentlich auf – das Fundament für seine ungewöhnliche Technik und Fingerfertigkeit. Zum Flamenco kam Andrade durch seinen Onkel José Menese, eine lebende Legende unter den Flamencosängern. „Flamenco hat mich schon von frühester Kindheit an fasziniert, auch, weil es für mich ein Fenster in die Vergangenheit war“, sagt der 60-jährige Gitarrist, der im spanischen Puebla de Cazalla in der Nähe von Sevilla geboren wurde und mehrere Jahre in Ludwigsburg einen Zweitwohnsitz hatte. Konzertreisen mit den Großproduktionen „Viva Sevilla“, „Flamenco es mi vida“ und „Mi Carmen Flamenca“ führten ihn von Europa über die USA bis nach Japan. Er arbeitete mit André Heller für dessen Show „Magneten-Musik der Zigeuner“ zusammen, bei der er auch den Jazzsaxofonisten Sigi Finkel kennenlernte.
Vor allem aber fühlt er sich dem Flamenco verbunden, denn kein Tanz verkörpert für ihn so vielschichtige Emotionen und erfordert so viel Konzentration und technische Perfektion. Sein Quartett mit der spanischen Flamencotänzerin Ursula Moreno bestätigt exakt die Vorstellungen, die man über Flamenco im Kopf hat: Leidenschaft, Eleganz, Sinnlichkeit – all das vereint die Profitruppe aus Spanien, bei der man mit jeder Bewegung und jedem Ton spürt, dass Flamenco ihr Leben bestimmt: „Flamenco ist eine Art, sich auszudrücken und bezeichnet eine bestimmte Haltung zum Leben. Für mich ist es fast eine Form von Therapie“, sagt Andrade. Ursula Moreno, die in ihrer Heimatstadt Málaga das „Centro Cultural Flamenco & Flamenco“ gründete, beherrscht diesen faszinierenden Kontrast in Perfektion: Klatschen und Klacken und dabei stets Haltung bewahren. Die Flamencotänzerin versteht es mit jeder Bewegung, jene Leidenschaftlichkeit und Dramatik zum Ausdruck zu bringen, die diesen Tanzstil seit dem 15. Jahrhundert prägen.
Doch was wären die Tänzer bei ihren Solotänzen ohne den für sie Gitarre spielenden Antonio Andrade? Im Flamenco ist keiner etwas ohne den anderen. In dem ebenso ritualisierten wie improvisierten Reigen tritt jede und jeder in den Dialog mit dem anderen: Das Klatschen des Palmeros, der die Fußarbeit der Tänzerin auffängt und rhythmisch weiterentwickelt, ein kurzes, anfeuerndes „ay“ des Sängers David Bastidas, das die beiden Gitarristen Antonio Andrade und Miguel Sotelo zu noch schnellerem Spiel anspornt.
Der Flamenco, so Andrade, stamme aus Indien, über Afghanistan sei er nach Spanien gekommen. Im Flamenco schlage somit das Herz der andalusischen Bevölkerung, der indischen Kultur, der Mauren, die über acht Jahrhunderte lang in Andalusien lebten, ja sogar der jüdischen Kultur. Elemente wie die flamenco-typische Melismatik des Gesangs, die arabisch klingenden Gitarrentonleitern, aber auch ein Teil der komplizierten Rhythmen stammen aus dem Orient. Diese verschiedenen Kulturen „durch den Flamenco herauszukristallisieren“, ist das Hauptanliegen von Antonio Andrade.
So entwickelt sich das neue Programm „Flamenco Vida“ zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk, welches sich kaum mit der Folkloretradition anderer Länder vergleichen lässt. Jürgen Spieß
Antonio Andrade kommt mit seinem Quartett und der neuen Produktion „Flamenco Vida“ am Freitag, 24. November, 20 Uhr, ins Sparkassen Carré