Drei Kontinente am selben Klavier

Der südafrikanische Pianist Abdullah Ibrahim kommt solo in den Tübinger Schlosshof

Abdullah Ibrahim, der als Dollar Brand vor über 65 Jahren seine Karriere als Jazzmusiker begann, ist mittlerweile 87 Jahre alt – ein Leben zwischen Musik, Religion und Politik. Am 23. Juli präsentiert der Verein „Jazz im Prinz Karl“ den südafrikanischen Pianisten bei den neuen Kultursommer-Konzerten im Hof von Schloss Hohentübingen.

22.06.2022

Der Jazzpianist Abdullah Ibrahim jongliert fintenreich mit den Hörerwartungen des Publikums. Bild: Jürgen Spieß

Der Jazzpianist Abdullah Ibrahim jongliert fintenreich mit den Hörerwartungen des Publikums. Bild: Jürgen Spieß

Gute Neuigkeiten aus Afrika - was konnte das Mitte der siebziger Jahre bedeuten? Apartheid herrschte, woher sollten vor deren Ende gute Nachrichten kommen? „Good News From Africa“, das war ein überraschender Titel für das Album eines Musikers, der im Exil lebte, weil es in seiner Heimat keine erträglichen Produktionsbedingungen für farbige Künstler gab.

Abdullah Ibrahim aber ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte, und seine Musik sprach eine klare Sprache: Es waren harmonisch vergleichsweise naiv gebaute Stücke im Balladen-, Choral- oder Hymnenton, mit einer erst auf den zweiten Blick raffinierten Spielweise am Klavier interpretiert, die die Musik in pulsierende Grooves einband und mit einer an Harmoniefortschreitungen orientierten, jazzigen Improvisationsweise jenseits der Blues-Tradition erweiterte. Kunstvoll und fintenreich jonglierte dieser Jazz mit Hörerwartungen und vermied dabei strikt Jazzklischees wie Blue Notes und swingende Phrasierung.

„Good News From Africa“ aus dem Jahr 1973 war auch ein politisches Bekenntnis zur eigenen Herkunft aus der afrikanischen - und eben nicht der afroamerikanischen - Tradition, aber auch die Behauptung einer unauflöslichen Nähe zwischen beiden. Insofern ist Abdullah Ibrahim heute der einzige Musiker, bei dem die komplette trikontinentale Geschichte des Jazz mit am Klavier sitzt. Geboren wurde er als Adolph Johannes Brand am 9. Oktober 1934 in Kapstadt. Mit sieben bekam er seinen ersten Klavierunterricht, seine musikalische Sozialisation war geprägt von der Kirchengemeinde, in der die Großmutter Klavier spielte und die Mutter den Chor leitete. Ein paar Jahre später war es der Jazz, den er für sich entdeckte und den er selbst bald zu spielen begann in den farbigen Hotel-Bands der Hafenstadt.

Der Künstlername Dollar Brand blieb an ihm hängen, weil er immer ein paar Dollars in der Tasche hatte, um Amerikanern, die er in Kapstadt traf, Jazzplatten abzukaufen. Da auch für Tanz- und Konzertveranstaltungen strikte Rassentrennung galt, zog er 1962, um seinen musikalischen Erfahrungsraum und sein Publikum zu erweitern, nach Zürich. Dort hörte ihn 1963 Duke Ellington, der ihn in seine Band holte und ihn sogar für eine Tournee zu seinem Stellvertreter machte. Ende der 1960er-Jahre wurde Dollar Brand Teil des politischen Aufbruchs in den USA. Wie viele farbige Künstler konvertierte er zum Islam und erhielt den Namen Abdullah Ibrahim.

Bereits 1965 begann in den USA der zweite Teil seiner Karriere als Solist und in kleinen Besetzungen mit überwiegend afrikanischen Musikern. Sein angestammtes Jazzpublikum überraschte er mit einer Abkehr von der aktuellen Jazz-Entwicklung und dem Einschlagen eines eigenen Weges: Melodieselig, harmonisch eloquent und mit einem Hauch von Volkstümlichkeit grundierte er nun seine Jazzerfahrung, und manchmal sang er auch - kunstlos, aber inbrünstig und intensiv: Er hatte sein inneres Afrika gefunden. Anfang der 70er-Jahre unternahm er einen Versuch, sich wieder im Apartheid-Staat anzusiedeln, ging aber 1976 entmutigt zurück ins New Yorker Exil und begann, sich für die Ziele des African National Congress zu engagieren. 14 Jahre später aber, nach dem Ende des Apartheid-Regimes, zog es ihn endgültig nach Südafrika zurück, das ihn und das er nie losgelassen hatte. Seinen Wohnsitz in New York hat er allerdings nie aufgegeben.

Mehr denn je ist Abdullah Ibrahim heute ein internationaler Musiker, mehr denn je auch ein afrikanischer Musiker und ein zugleich religiöser und hochpolitischer Mensch. Jürgen Spieß

Abdullah Ibrahim spielt am Samstag, 23. Juli, um 19.30 Uhr im Rahmen der neuen Kultursommer-Konzerte im Schlosshof Tübingen. Eintrittskarten gibt es seit diesem Montag bei allen Vorverkaufsstellen in und um Tübingen.

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Erstellt:
22.06.2022, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 22.06.2022, 01:00 Uhr

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