„Jetz, wie isch friar gwä?“

Die Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland hat ein Hörbuch mit raren, historischen Dialektaufna

09.12.2020

Auf diesem Grohe-Bild aus dem Jahr 2001 sieht man Arno Ruoff beim Interview mit Bäuerin Maier aus Wolfenhausen. Hier hatte er ein leicht tragbares Tonbandgerät dabei. Am Anfang war Ruoff mit steinschweren Aufnahmegerät unterwegs, oft mit dem Fahrrad und auch auf der Schwäbischen Alb. Die für das Hörbuch verwendeten Aufnahmen stammen aus den 1950er und 1960er Jahren.

Auf diesem Grohe-Bild aus dem Jahr 2001 sieht man Arno Ruoff beim Interview mit Bäuerin Maier aus Wolfenhausen. Hier hatte er ein leicht tragbares Tonbandgerät dabei. Am Anfang war Ruoff mit steinschweren Aufnahmegerät unterwegs, oft mit dem Fahrrad und auch auf der Schwäbischen Alb. Die für das Hörbuch verwendeten Aufnahmen stammen aus den 1950er und 1960er Jahren.

Vor allem in den 1950- und 1960-Jahren war der Tübinger Sprachforscher Arno Ruoff in Baden-Württemberg und den angrenzenden Gebieten für seine Dialekt-Interviews unterwegs, anfangs war auch Volkskunde-Kollege Hermann Bausinger mit dabei, längst weithin bekannter (früherer) Leiter des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft an der Uni Tübingen.

Über 2000 Interviews aus mehr als 500 Orten hat Arno Ruoff so in mehreren Jahrzehnten auf Tonbändern zusammengetragen. Das Ziel war, die unterschiedlichen Dialektformen in Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Vorarlberg und Liechtenstein zu erfassen. Inzwischen aber ist längst klar, dass die Aufnahmen nicht nur sprachlich, sondern auch kulturwissenschaftlich hochspannend sind. Denn die Dialekt-Sprecherinnen und -Sprecher wurden nicht einfach nur gefragt, wie sie welches Wort aussprechen, sondern sie „wurden aufgefordert, irgendwas aus ihrem Alltag zu erzählen“, erklärt Mirjam Nast von der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland, die zum Institut für Empirische Kulturwissenschaft gehört.

„Jetzt, wie isch friar gwä?“ – mit dieser oder einer ähnlichen Frage begann Ruoff gerne seine Interviews mit den Dialektsprecher/innen und er wollte so erreichen, dass seine „Gewährspersonen“ frei von der Leber weg redeten – wie im Alltag eben und nicht wie abgefragt. Was ihm meist auch gelungen ist. Aus diesem Geschichten-Fundus hat nun die Tübinger Sprach-Arbeitsstelle, und da vor allem Mirjam Nast, ein (erstes) Hörbuch mit dem Titel „Jetz isch halt alles anderscht, net?“ zusammengestellt. Drei Bereiche wurden dabei berührt: ‚Leben und Arbeit‘, ‚Gesundheit und Krankheit‘ und ‚Freizeit und Infrastruktur‘. Das Hörbuch ist populärwissenschaftlich gehalten und es ging dabei vor allem darum „die historischen Akteure selbst zu Wort kommen zu lassen, mit Originaltönen“, erklärt Sprachforscherin Nast.

Aber auch für Sprachinteressierte hat das Hörbuch einen Mehrwert: Im Booklet der CD gibt es fundierte Erläuterungen zu einzelnen Dialektmerkmalen von Prof. Hubert Klausmann, dem Leiter der Arbeitsstelle. Und auch eine Karte ist dem Booklet beigefügt – damit man auch nachschauen kann, was wo war.

In dem Hörbuch sind Tonaufnahmen aus den 1950er und -60er Jahren: Sie liefern einen ungewohnten Einblick in zentrale Bereiche des Alltagslebens und beschreiben dabei einschneidende Veränderungen, die sich hier im Land vollzogen haben. Die im Dialekt gesprochenen Erzählungen kreisen dabei um vielfältige Themen: die Einführung von Maschinen auf dem Hof, den Umgang mit Krankheiten – von Besuchen beim Wunderheiler bis zur modernen Schulmedizin – oder die neuen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, die sich immer mehr aus dem eigenen Dorf herausverlagerte. Ergänzt werden sie durch Hintergrundinformationen zur Kultur- und Sachgeschichte sowie durch neueres Tonmaterial, das den beschriebenen Wandel bis in die Gegenwart weiterverfolgt.

Wichtig fanden Mirjam Nast und Hubert Klausmann zudem den Punkt, dass Bildbände zum ländlichen Alltag in Baden-Württemberg schon seit längerer Zeit in nicht geringer Anzahl verfügbar sind, die „auditive Ebene historischer Alltagswelten dagegen deutlich unterrepräsentiert“ ist. Das soll nun mit diesem Hörbuch anders werden: Es stellt rare historische Tondokumente vor, durch die es möglich wird, in die Vergangenheit gewissermaßen ‚hineinzuhören‘. Anhand der frühen volkskundlichen Aufnahmen kann man Menschen zuhören, die in ihrer Zeit über ihre Zeit erzählen. Angelika Brieschke

Das Arno-Ruoff-Archiv

Das Arno-Ruoff-Archiv ist Teil der „Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland“, die rund 2 000 Tonaufnahmen aus Baden-Württemberg, Bayerisch-Schwaben, Vorarlberg und Liechtenstein beherbergt.

Die inzwischen vollständig digitalisierten Aufnahmen sind ein wertvoller Fundus, der jetzt zum ersten Mal mit dem Hörbuch auch inhaltlich analysiert wurde. Ab 2021 werden die Aufnahmen auch online für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung stehen.

„Jetz isch halt alles anderscht, net? Kultureller Wandel im Ländlichen Raum.“

Verlag Regionalkultur 2020, ISBN: 978-3-95505-204-1, 19,90 Euro. Das Hörbuch ist im Buchhandel erhältlich.

Die Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland hat ein Hörbuch mit raren, historischen Dialektaufna
Dr. Mirjam Nast ist Mitarbeiterin bei der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland.

Dr. Mirjam Nast ist Mitarbeiterin bei der Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland.