Die Berliner Sängerin Joy Denalane kommt nach Reutlingen

Die schon einige Jahre währende Soul-Nostalgiewelle ist so eine Sache. Nicht selten wird nur Drittklassiges aufgewärmt und nochmal als erste Sahne verkauft. Sind Songs, die das in Musik übersetzen, was in den 1960er-Jahren auf den Straßen passierte, überhaupt noch zeitgemäß? Ist Soul mehr als ein Wort? So dachte man zumindest. Bis Joy Denalane im Jahr 2002 auf der Bildfläche erschien und ihren Mix aus deutschsprachigen Soulballaden, relaxten Midtempo-Nummern und funkigen Uptempo-Krachern zum Besten gab.

Als ihr Debütalbum „Mamani“ 2002 auf den Markt kam, da war es für viele nicht weniger als eine Offenbarung. Nie zuvor hatte Soul auf deutsch – wenn es ihn denn gegeben hatte – so gut, so pur, so emotional glaubwürdig geklungen. Und nein – den Titel der Königin des deutschen Soul macht Joy Denalane, die ihre Lebensfreude bereits im Vornamen trägt, bis heute niemand streitig.

Mit „Let Yourself Be Loved“, das sie 2020 als erste deutsche Künstlerin auf dem legendären Motown-Label veröffentlichte, liefert die Sängerin erneut eine eindrucksvolle Kostprobe ihres stimmlichen Könnens ab. Sie begibt sich dabei auf die Suche nach ihren musikalischen Wurzeln, die auf die alten Soul-Platten ihres südafrikanischen Vaters zurückgehen: „Ich wollte ein ganz klassisches Soul-Album aufnehmen, das sich stilistisch in der Phase von Ende der 60er-Jahre bis ungefähr 1973 bewegt“, erzählt Joy Denalane. Wie auf ihren früheren Alben geht es um ihre nicht zuletzt durch die Hautfarbe geprägte Identität, um Orte ihrer Kindheit und Jugend, um die Suche nach sich selbst: „Wo komme ich her, was macht mich aus, wenn ich alles andere weglasse, was bleibt dann übrig?“. Und immer wieder durchziehen auch die Erfahrungen, die sie als schwarze Frau in der Diaspora Deutschland gemacht hat, das Album.

„Let Yourself Be Loved“ ist eine Mischung aus diversen Gefühlsschichten, gepaart mit der Fähigkeit, musikalische Geschichten zu erzählen und so unaufdringliche wie eindringliche Sozialkritik zu äußern. Natürlich singt sie in den meisten Liedern über die Liebe in sämtlichen Facetten, aber sie peppt die Themen mit einer zusätzlichen politischen Bedeutungsebene auf. Der Mix aus Sixties-Soul und Curtis-Mayfield-Funk kommt meist im angenehmen Retro-Gewand mit Bläser-Arrangements, Streichern und gediegener Perkussion daher, mit eingängigen Melodien und schmachtenden Chören im Hintergrund.

Joy Denalane wurde in Berlin-Schöneberg geboren und wuchs in Berlin-Kreuzberg auf. Sie war das dritte von sechs Kindern und erhielt den Namen Joy („Freude“). Der Vater, ein Südafrikaner, hatte sich während seines Studiums in Deutschland in ihre Mutter, eine Heidelbergerin, verliebt und blieb in Deutschland.

Denalane zog mit 16 Jahren von zu Hause aus, machte mit 22 Jahren ihr Abitur und widmete sich fortan der Musik. Ihr damaliger Freund überredete sie mit 19 Jahren zu einem Vorsingen, das ihr zu Engagements als Sängerin in den Reggae- und Soulbands Culture Roots und Family Affair verhalf. 1999 wurde sie Teil der Stuttgarter FK Allstars, zu denen auch ihr späterer Ehemann Max Herre von Freundeskreis gehörte. Zwei Jahre tourte sie mit der Band, unterzeichnete 2001 einen Vertrag bei der Plattenfirma Four Music und startete danach ihre Solokarriere.

Fraglos ist Joy Denalane eine brillante Soulsängerin, die mit ihrer vielschichtigen, warmen Stimmfarbe und raumgreifenden Präsenz auch manch seichtes Text-Melodie-Gefüge überbrückt. Ihre wirkliche Stärke zeigt sich dort, wo sie emotionale Brüche offenbaren kann. Wo sie zweifelnd, wütend, verletzlich sein darf. Dann ist ihre Stimme mit diesem samtigen Schleier belegt, wechselt von erdig zu smooth, trifft genau dorthin, wo der Soul herkommt, wo er hin soll: in die Seele. Text und Bild: Jürgen Spieß

Joy Denalane tritt am Freitag, 5. August, 20 Uhr, mit ihrer Band beim Hafensounds-Festival im Reutlinger Echaz-Hafen auf. Support ist die Sängerin Ami Warning.