Aktueller als je zuvor

Die Tübinger Frauenfilmtage starten am morgigen Donnerstag

01.03.2023

Man möchte es kaum glauben. Seit 2001 gibt es in Tübingen die Frauenfilmtage, zuerst als Filmfest Frauen-Welten organisiert von Terre des Femmes. Seit dem Umzug der Frauenrechtsorganisation nach Berlin 2020 ist es ein weitgehend ehrenamtlich engagiertes Team um die Leiterin Irene Jung, das mit den Frauenfilmtagen einzigartige Filme über die Situation von Frauen in aller Welt zeigt.

Noch immer sind es dieselben Themen, die die Filmemacherinnen und Filmemacher auf die Leinwand bringen. Nichts scheint sich in den letzten 20 Jahren geändert zu haben, schon gar nicht zum Besseren. Nach wie vor kämpfen Frauen überall auf der Welt um ihre Menschenrechte. Nach wie vor sind Zwangsverheiratung, Abtreibungsverbot, Frauenhandel, Prostitution, Frauenmord, Genitalverstümmelung und Schleierzwang an der Tagesordnung. Wer den spannenden Spielfilm „Call Jane“ anschaut, in dem eine amerikanische Ehefrau und Mutter in den späten 1960er-Jahren um einen Schwangerschaftsabbruch und damit um ihr Leben kämpft, mag kaum glauben, dass sich dieses Thema nach 60 Jahren immer noch nicht erledigt hat. Im Gegenteil: Es ist mit den neuen Abtreibungsgesetzen in den USA aktueller als je zuvor.

Sadiqa Madadgar singt. In Kabul. Popmusik und traditionelle Lieder. Sie nimmt an der Talentshow „Afghan Popstar“ teil, die sie als erste Frau gewinnen will. 38 Tage nach der Machtübernahme der Taliban wird sie evakuiert, heute lebt sie in der Nähe von München im Exil. Weil sie singt!

Sara Aduse wurde mit sieben Jahren von ihrer Großmutter zur Beschneiderin gebracht. Heute lebt sie in der Schweiz, hat eine Rekonstruktions-OP hinter sich und ist nach Äthiopien zu der Frau gereist, die sie als kleines Mädchen verstümmelt hat – um sie mit dieser Tat zu konfrontieren. Sie hat über ihre Reise ein Buch geschrieben, setzt sich gegen Genitalverstümmelung ein und hat dazu eine eigene Stiftung gegründet.

Beide Frauen werden auf den Tübinger Frauenfilmtagen zu Gast sein, die Filme „Do You Remember Me“ und „And Still I Sing“ sind beeindruckende Zeugnisse vom Mut und von der Beharrlichkeit, mit der Frauenrechte immer wieder neu erkämpft werden müssen.

Der Spielfilm und die sieben Dokumentarfilme, die auf den diesjährigen Frauenfilmtagen im Kino Museum und im Deutsch-Amerikanischen Institut (DAI) gezeigt werden, zeigen Frauen aus Vietnam, Nigeria, Mexiko, Äthiopien, dem Iran und den USA. Es sind mutige Aktivistinnen, die oft ihr Leben riskieren, um für Dinge zu kämpfen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Schulbesuch zum Beispiel. Oder offene Haare.

Die Filme sind aber nicht nur Zeugnisse für die zermürbende Notwendigkeit, jahrzehntelang immer wieder für dieselben Rechte kämpfen zu müssen, sondern auch für den Mut, die Solidarität, den Optimismus und die Kraft all dieser Frauen, die sich ihre Freiheit und ihre Unversehrtheit nicht mehr nehmen lassen wollen. Das ist ungeheuer hoffnungsvoll. In „Be My Voice“ erlebt man die iranische Journalistin und Bloggerin Masih Alinejad, die aus ihrem US-Exil jeden Abend Hunderttausende Followerinnen und Follower im Iran erreicht. Trotz eines Lebens im Untergrund bleibt sie die empathische Aktivistin, die mit ihren Social-Media-Kampagnen gegen den Hidschab-Zwang die Welt bewegt.

Außerdem bieten die Frauenfilmtage wieder eine einmalige Gelegenheit, einen cineastischen Blick über den amerikanisch-europäischen Tellerrand zu werfen und in Lebenswelten einzutauchen, die komplett anders sind als unsere. In „Children of the Mist“ geht es zum Beispiel um die Tradition des Brautraubs in Vietnam.

„Du kommst da in eine Welt rein, die du überhaupt nicht verstehst“, erzählt Filmtageleiterin Irene Jung. „Aber man merkt auch, dass in den letzten Jahren vor und hinter der Leinwand ein echter Generationenwechsel stattgefunden hat und dass es jetzt junge Frauen sind, die dem Kampf um Frauenrechte ungeheuren Schwung verleihen.“Andrea Bachmann

Die Frauenfilmtage finden vom Donnerstag, 2. März, bis Sonntag, 5. März, im Kino Museum und im DAI statt. Alle Infos zu den Filmen und Gästen gibt es hier: frauenfilmtagetuebingen.de