Visionen des Körperlichen

Die Tübinger Kunsthalle präsentiert die Skulpturen-Ausstellung „Supernatural“

Die neue Ausstellung der Kunsthalle Tübingen beschäftigt sich mit der Zukunft der Körperlichkeit: Unter dem Titel „Supernatural“ stellt Nicole Fritz ab kommenden Freitag bis zum 7. März 2021 zahlreiche Exponate vor, die das Nachahmen menschlicher Figuren bis zum Äußersten treibt.

07.10.2020

In der Tübinger Kunsthalle werden humanoide Roboter in Szene gesetzt. Bild: Kunsthalle Tübingen

In der Tübinger Kunsthalle werden humanoide Roboter in Szene gesetzt. Bild: Kunsthalle Tübingen

Tübingen. Wie werden die Körper der Zukunft aussehen? Wer oder was werden wir sein? In welcher Umwelt werden wir leben? Werden humanoide Roboterwesen den Menschen auf längere Sicht ersetzen? Werden wir die menschlichen Fähigkeiten wie Empathie, Fantasie und Intuition zukünftig als humane Alleinstellungsmerkmale bewusst entwickeln oder es zulassen, dass unser psychisch-mentaler und emotionaler Resonanzraum schwindet und wir selbst zum fremdbestimmten Roboterwesen mutieren? Alles Fragen, mit denen sich Künstlerinnen und Künstler aus elf unterschiedlichen Ländern in ihren Skulpturen auseinandersetzen. Die Ausstellung möchte die Auswirkungen der digitalen Revolution und der Gentechnik auf den „posthumanen“ Menschen und die Umwelt reflektieren und veranschaulicht gleichzeitig, dass die Grenzen zwischen Natur und Kultur heute fließend geworden sind.

Dafür wurden für die gemeinsam von der seit Anfang 2018 amtierenden Kunsthallen-Leiterin Nicole Fritz und Maximilian Letze kuratierte Ausstellung Skulpturen aus allen Ecken der Welt zusammengetragen und nach den Themen „Technik-Mensch“, „Metamorphosen“, „Hybrid Others“, „Post Nature“ und „Künstler 4.0“ gruppiert. Entstanden ist ein aufrüttelnder und teilweise verstörender Parcours, der einem im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut geht und anregt, sich mit den Fragen unserer Zeit auseinanderzusetzen.

Wenn die Coronakrise in den vergangenen Monaten eines deutlich gemacht hat, dann ist es die Erkenntnis, dass unser Verständnis der Welt und von uns selbst derzeit tiefgreifenden Veränderungen unterworfen ist: „Es ist mittlerweile überdeutlich, dass die Umweltzerstörung und die Möglichkeiten mittels digitaler Technik und Gentechnologie den Körper innerlich und äußerlich zu erfassen, ihn zu manipulieren und zu verändern, auch einen nachhaltigen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung des Menschen haben werden“, ist Kunsthallen-Leiterin Nicole Fritz überzeugt.

Angefangen von Kunstwerken von Anne Carnein, Mat Collishaw, Anna Dumitriu und Alex May führt der Rundgang von Isa Genzken, Glaser/Kunz, Thomas Grünfeld, Alex Hanimann und Rebecca Horn über Sam Jinks, Krištof Kintera, Josh Kline, Peter Land, Goshka Macuga und Reiner Maria Matysik bis hin zu Künstlern wie Maurice Mbikayi, Fabien Mérelle und Patricia Piccinini. Auch die Werke von Takayuki Todo, Anna Uddenberg, Super Vivaz und Andro Wekua führen auf beklemmende Art und Weise vor Augen, dass die Grenzen zwischen dem menschlichen Körper und der Technik in naher Zukunft fließend sind und der Mensch im posthumanen Zeitalter in seiner zukünftigen Gestalt selbst immer manipulierbarer wird. Der seelenlose Cyborg Andro Wekuas und die sensiblen, der Natur zugewandten Selbstporträts Fabien Mérelles markieren die beiden gegensätzlichen Pole des in der Ausstellung mittels hyperrealistischer und realistischer Skulpturen entfalteten Themenfeldes.

Kunsthallen-Leiterin Nicole Fritz gelingt es mit dieser Ausstellung, den Hyperrealismus in der Skulptur neu zu definieren und eine spektakuläre Schau zu präsentieren. Die Ausstellung führt vor Augen, dass der Mensch in nicht so ferner Zukunft in der Lage sein wird, alles Lebendige – die Natur, die Tierwelt und die Ebenbilder des Menschen – existenziell zu verändern. Jürgen Spieß

Die Ausstellung „Supernatural“ wird am Freitag, 9. Oktober, um 19 Uhr, von Oberbürgermeister Boris Palmer in der Tübinger Kunsthalle eröffnet.