Refugium für Visionäre

Die Villa Zundel auf dem Lustnauer Berghof wird saniert

Wie viele Orte Tübingens birgt auch der Berghof, dessen Villa Zundel derzeit denkmalgerecht restauriert wird, außergewöhnliche Geschichten.

16.06.2021

Die Villa Zundel ist eine bauhistorisch interessante Architektur aus Kalktuff. Bilder: Arndt Spieth

Die Villa Zundel ist eine bauhistorisch interessante Architektur aus Kalktuff. Bilder: Arndt Spieth

Lustnau. Der oberhalb Lustnaus liegende Hof umfasst einen Bauernhof, die Villa Zundel, die Villa Sonnhalde sowie neuere Institutsgebäude. Das Gelände gehörte ursprünglich der Stuttgarter Industriellenfamilie Bosch. Der Vater Robert hatte es für seine beiden Töchter Paula und Margarete gekauft, nachdem sie sich während des Studiums in dieses kleine Aussichtsparadies im Gewann „Ob dem Himmelreich“ verliebt hatten.

Interessant wird die Geschichte vor allem durch (Georg) Friedrich Zundel (1875-1948), einem politisch engagierten Künstler, der zuerst in Stuttgart mit der deutlich älteren Revolutionärin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin verheiratet war. Clara Zetkin kannte die sozial eingestellten Boschs als Nachbarn in der Stuttgarter Rotebühlstraße und war mit ihnen befreundet. Dadurch entwickelten sich rasch auch Kontakte zum Ehemann Friedrich. Robert Boschs Ehefrau Anna war von dessen Bildern begeistert und beauftragte ihn mit den Porträts ihrer Töchter. Die Geschichte nahm ihren Lauf und Friedrich und die 14 Jahre jüngere Paula verliebten sich.

Ab 1919 entwarf Friedrich Zundel auf diesem herrlichen Grund der Boschs seine „Villa Zundel“ mit Ateliergebäude. Architekt war der Tübinger Franz Bärtle. Zundel wollte hier oben auch seine lebensreformerischen Vorstellungen realisieren und ließ auch einen Bauernhof erbauen. Das Projekt „Berghof“ war geboren. Finanziert hatte dies hauptsächlich sein Schwiegervater Robert Bosch, der gegenüber solchen Reformprojekten aufgeschlossen war.

Parallel zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert entwickelte sich die Bewegung der „Lebensreformer“, erst am Rande der Gesellschaft, bald war sie auch in höheren Kreisen en vogue. Man wollte die Rückkehr zu einer naturnahen Lebensweise mit ökologischer Landwirtschaft, vegetarischer Ernährung, Reformkleidung bis hin zum Nudismus und Naturheilkunde.

Schließlich zerbrach die Ehe mit Clara und Friedrich heiratete Paula. Sie zogen auf den Berghof und neben seiner künstlerischen Arbeit war Friedrich Zundel nun auch leidenschaftlicher Landwirt. In dieser Zeit kam auch die Ehe von Anna und Robert Bosch immer mehr in die Krise. Ihr Sohn Robert erkrankte schwer an Multipler Sklerose und Anna kümmerte sich aufopfernd um ihn. Nach seinem Tod 1921 fiel sie laut Ehemann Robert in eine schwere Depression und die Ehe zerbrach. Als die Trennung absehbar wurde, entwarf Friedrich Zundel für seine Schwiegermama die Villa Sonnhalde, die gleich daneben mit demselben Architekt realisiert wurde. Das Geld kam auch hier von Robert Bosch. Später lebte dort Margarete, Paulas Schwester.

Auch baugeschichtlich ist der Komplex aus Kalktuff höchst interessant. Mit seinen Steinreliefs aus Putten-, Früchte-, Pflanzen und Tiermotiven zählt der Berghof zur vormodernen organischen Architektur. Laut Landesdenkmalamt ist dies eine höchst seltene Kombination, vor allem durch den dominierenden landwirtschaftlichen Charakter und die bauliche Einbeziehung in die Landschaft.

Die Anwesenheit der Familie Zundel-Bosch erwies sich durch zahlreiche wohltätige Stiftungen für Lustnau und Tübingen äußerst segensreich. Das steigerte sich noch durch Georg Zundel, dem hier aufgewachsenen einzigen Sohn der beiden. Der idealistische und erfolgreiche Professor für Biophysik an der Universität München setzte sein ererbtes Vermögen, gemeinsam mit seiner Mutter, Tante und Großmutter, für zahlreiche gemeinnützige Tübinger Projekte wie ein Studentenwohnheim, das Institut für Friedenspädagogik und die Kunsthallen-Stiftung ein, eine Idee seiner Mutter und ihrer Schwester Margarete Fischer. 1966 gründete er hier das private Forschungsinstitut „Physikalisch-Technisches Laboratorium Berghof GmbH“ und 1971 die Berghof Stiftung für Konfliktforschung, mit der er das gemeinsame Engagement von Geistes- und Naturwissenschaftlern für die Erhaltung des Friedens intensivieren wollte. Er handelte hier ganz im Sinn seines Großvaters Robert Bosch und Vaters Friedrich, denen Frieden und Völkerverständigung sehr am Herzen lag. Diese Stiftung unterhält heute unter anderem in Berlin das Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung und fördert weltweit Friedensprojekte. Zudem engagierte sich der Naturfreund Georg Zundel bis zu seinem Tod 2003 für ökologische Projekte und Themen. Sein Sohn Johannes betreut derzeit die denkmalgerechte Wiederherstellung der Wohnvilla Zundel. Arndt Spieth

Diese Skulptur schmückt das Berghof-Areal.

Diese Skulptur schmückt das Berghof-Areal.

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Erstellt:
16.06.2021, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 16.06.2021, 01:00 Uhr

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