Aus der Luft und zu Fuß (60)

Talheim

09.01.2019

Von Andrea Bachmannn / Bilder: Erich Sommer

Talheim

Die reichen Wasservorkommen der Karstlandschaft zwischen Farrenberg und Steinlachtal sowie die komfortable Lage sorgten dafür, dass Talheim einer der am frühesten besiedelten Orte der gesamten Region war: Funde am Farrenberg deuten darauf hin, dass hier schon vor etwa 12 000 Jahren, zur sogenannten Urnenfelderzeit, Menschen lebten. Das Dorf selbst ist eine frühmittelalterliche Siedlungsgründung aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts.

Schon 873 wird die Bergkirche zum ersten Mal erwähnt. Viele Jahrhunderte lang war sie die Eigenkirche des ansässigen Ortsadels, der Eigentümer und Patronatsherr der Kirche war. Im 14. Jahrhundert waren das die Herren von Andeck, deren ehemalige Burg auf einem Sporn des Farrenbergs oberhalb von Talheim eine wunderschöne Aussicht bietet. Noch immer kann man die vier Gräben und den Halsgraben erkennen, die die Hauptburg von den Vorburgen trennten. Im Schuttwall der Hauptburg stecken noch die Reste der einstigen Schildmauer. Hier lebten die Schenken von Andeck und die Herter von Dußlingen. 1604 bestand die Burg nur noch aus einem „alt Gemäuer mit Holz verwachsen“. Und heute braucht man viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie der Burgherr Fritz Herter, ein richtiger Raubritter, 1329 einige Rottenburger Bürger gefangen nahm und daraufhin solange von den hohenbergischen Städten Rottenburg und Horb belagert wurde, bis er die Gefangenen wieder frei ließ.

Um 1440 verließen die Schenken von Andeck ihre baufällig gewordene Burg und zogen ins „Dorfschlössle“, zwischen der Albstraße und Kreuzstraße in Talheim. Ab dieser Zeit nannten sie sich „Schenken von Talheim“.

Es waren auch die Herren von Andeck, auf deren Veranlassung hin die Kirche im 15. Jahrhundert mit aufwändigen Wandmalereien ausgeschmückt wurde. Am Chorbogen und im Chor sind noch einige Reste zu erkennen.

Kostbarstes Kirchengut war jedoch ein 1518 von dem Ulmer Meister Nikolaus Weckmann kunstvoll geschnitzter Flügelaltar. Den hätte der damalige Kirchenherr Eberhard von Karpffen nach Einführung der Reformation 1534 eigentlich abliefern sollen. Aber er meldete dem Tübinger Vogt, dass der Altar zum Witwengut seiner Frau gehöre und weder er noch seine Söhne ihn ohne deren Einwilligung verkaufen, versetzen, verschenken oder eben hergeben könnten. Der Beharrlichkeit dieser „lieben Hausfrau“ schien der Tübinger Vogt nichts entgegenzusetzen zu haben und so blieb der Altar bis 1844 in der Kirche und sorgte so für ein anständiges Aufkommen katholischer Pilger und damit auch für gefüllte Klingelbeutel.

Im 19. Jahrhundert ging es den Talheimern schlecht. Sie lebten wegen der beengten Tallage und der Höhe von etwa 570 Metern von einer kargen Landwirtschaft, litten unter den politischen Wirrnissen und der schlechten wirtschaftlichen Lage und wanderten nach Amerika aus: Allein 1864 verließen 47 der 1150 Einwohner das Dorf für immer. Für spätmittelalterliche Bildwerke hatte man da wenig Verständnis und verkaufte den Flügelaltar 1844 für 6000 Gulden an das Haus Württemberg.

Im 20. Jahrhundert kamen bessere Zeiten: 1924 wurde mit der Holzwarenproduktion Bischoff die erste Fabrik am Ort gegründet, kurze Zeit später folgte die Textilfirma Dölker. Trotzdem lebten 1939 nur noch 836 Menschen in Talheim.

Von denen waren in den letzten Tages des Zweiten Weltkriegs einige gewillt, ihr Dorf bis auf den letzten Blutstropfen zu verteidigen. Die fanatischsten dieser Verteidiger zogen sich bis auf die Anhöhe zurück und wollten von der Kirche aus die Franzosen verdrängen. Auf dem heute so idyllischen Kirchhof kam es zu einer wüsten Schießerei. Rechts vom Eingang der Kirche hängt ein Familienepitaph, auf dem eine ganze Salve von Schüssen ihre Spuren hinterlassen hat.

Andrea Bachmannn

Bilder: Erich Sommer