Kollision mit Rehbock inklusive

Dieses Jahr war beim Nikolaus-Lauf einiges anders als vor der Pandemie

Lange Zeit war noch nicht gesichert, ob der diesjährige Nikolauslauf in Tübingen stattfinden konnte – am Ende genossen Tausende einen Lauf durch den Schönbuch bei bestem Wetter und Sonnenschein.

08.12.2021

Der Läufertross und Zuschauer am Heuberger Tor bei bestem Wetter. Bild: Werner Bauknecht

Der Läufertross und Zuschauer am Heuberger Tor bei bestem Wetter. Bild: Werner Bauknecht

Da war Organisationschef Gerold Knisel mächtig geschockt. Gemeinsam mit seiner Tochter wollte er einen gechillten Lauf genießen, denn normalerweise ist er nicht auf der Piste beim eigenen Nikolauslauf. „Aber das Team ist so perfekt, da braucht man keine Angst haben, dass was schief läuft“, sagte er.

Doch knapp bevor die Piste in den Bettelweg einmündet, sah er einen dunklen Schatten und duckte sich reflexartig weg. Zum Glück für ihn. Pech für den jungen Mann, der hinter ihm lief. Denn ein Rehbock war mit voller Kraft auf die kleine Laufgruppe losgehechtet, und traf den Läufer mit seiner ganzen Wucht. Der landete auf dem Boden und schlug dort heftig auf.

Dann verschwand das Tier, selbst geschockt, im Unterholz. Schnell erreichte die Nachricht das Deutsche Rote Kreuz, dessen Einsatzwagen am Heuberger Tor stand. Die Sanitäter kümmerten sich gleich um den jungen Mann und transportierten ihn in den Krankenwagen. Aktuelle Nachricht: Es gehe ihm wieder ganz gut, der Tierunfall habe aber Spuren hinterlassen.

Virtueller Lauf

Weniger Spuren als gedacht hinterließen die coronabedingten Verordnungen für Sportveranstaltungen beim Nikolauslauf. Am Ende gab es 2118 analoge Finisher. Alle Teilnehmer mussten vorangemeldet sein, nur „1 G“ wurde akzeptiert. Das war kein Hindernis für die Laufgemeinde: Es meldeten sich um die 3400 Sportler an.

In der Woche vor der Veranstaltung überschlugen sich allerdings die Nachrichten zum Thema Corona: Immer neue Verordnungen tauchten auf, meist sehr kurzfristig, und viele betrafen den Sport an sich. So wurden ein paar Stunden vor dem Spieltag plötzlich alle Amateurfußballspiele in Baden-Württemberg abgesagt. Es gab Obergrenzen für Veranstaltungen, die sich dann als Grenzen für Zuschauer, nicht für Teilnehmer, herausstellten. Dennoch wusste keiner genau: Findet der Lauf statt oder nicht?

Der Veranstalter reagierte flexibel: Er bot auf seiner Website den Lauf nun auch virtuell an, man konnte sich jederzeit ummelden. Es wurde ein Transponder an den Start gestellt, noch einer bei Streckenkilometer 10 und einer im Ziel des Originallaufes. So kann man jetzt den Lauf die gesamte aktuelle Woche bis zum Wochenende laufen und sich selbst stoppen.

Auch für den Post SV als Veranstalter war nicht klar, ob man den Lauf starten sollte. Doch nach internen Diskussionen gab es schließlich grünes Licht. „Wenn die das abgesagt hätten“, so der Tenor der Läufer, „wäre das eine Katastrophe gewesen – nach dieser gigantischen Vorbereitung.“

Die Messe musste dieses Jahr ausfallen, die Sporthalle der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) diente als Umkleide für Männer, der Gymnastikraum war den Frauen vorbehalten. Es gab Check-in-Schalter, an denen die digitalen Impfscheine geprüft wurden. Für den Nachweis gab es einen roten Bändel, der auch als Zugangsberechtigung für die Halle diente.

Elf Studenten der Fachschaft Mathematik unterstützten die Veranstalter am Check-in-Schalter. Auf dem Schulhof konnte man am Treppenaufgang Kaffee oder Punsch kaufen, vor der Halle war ein Stand mit Kuchen. Verantwortlich dafür war der Förderverein des TüMo, des Tübinger Modells Volleyball.

Im Start-Ziel-Bereich herrschte Maskenpflicht, die auch weitgehend eingehalten wurde. Nach dem Start durfte man die Maske abnehmen. Viele gingen pandemiemäßig auf Nummer sicher. Stefan Fahrion zum Beispiel hatte keine 24 Stunden vor dem Start einen Antigentest gemacht. Zu einer 1:36:17-Zeit reichte es dennoch. Auch Thorsten Haasis machte zu Hause einen Schnelltest. Lohn: Bestzeit mit 1:26:18 Stunden.

Die Infrastruktur und Verpflegung war ebenfalls bestens organisiert. Wie immer sorgte das THW, Ortsverband Tübingen, für das Wasser – 6000 Liter insgesamt. Am Bogentor in Hagelloch gab es Getränke, dieses Jahr serviert von den Volleyball-Damen des SSC Tübingen. Die Zielverpflegung mit Rosinenbrötchen, Tee und Wasser, übernahmen die Triathleten des Post SV Tübingen.

„Das ist fast so wie immer“, sagte Johannes Glemser, der „schon ganz oft“ den Lauf mitgemacht hatte. Die Siegerehrung allerdings richteten die Veranstalter unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus. Im Freien, vor der Sporthalle, wurden die jeweils ersten acht der Frauen und Männer geehrt.

Blumen als Trophäe

„Wir nennen das die Flower Ceremony, weil die Sieger alle ein Blumenpräsent bekommen“, verriet Knisel. Und am Ende war es dann wie immer, Corona hin oder her: Da wurden die gelaufenen Zeiten verglichen, gelobt oder bedauert und bereits der nächste Nikolauslauf ins Auge gefasst.

Dabei hatte der Lauf am Sonntag Sensationelles geboten, zumindest für Tübinger Verhältnisse. Denn der Alt-Streckenrekord von Dieter Baumann wurde endlich verbessert. Zwar war die Strecke unwesentlich anders als zu Baumanns Rekord, aber im Grunde vergleichbar, weil nur Start und Ziel um 100 Meter verschoben werden mussten.

Den neuen Streckenrekord schaffte Karl Junghannß aus Erfurt – ein Geher der Spitzenklasse. Der Kontakt zu ihm kam über Gerold Knisel zustande, dem er bei einem Treffen der Macher der größten Läufe Deutschlands, den „German Road Races“, von den anderen Laufveranstaltern empfohlen wurde. Immerhin war der Erfurter, als er 2019 schon mal in Frankfurt beim Marathon auf eine Laufstrecke auswich, eine Zeit von 2:17:54 Stunden gelaufen.

Der Mann (25) lief einen Riesenvorsprung heraus, nämlich etwa drei Minuten auf den Zweitplatzierten Anthony Tomsich von der LAV Stadtwerke Tübingen. Das entspricht etwa einem Kilometer Unterschied. Und so kam auch die überragende neue Bestzeit von 1:07:09 Stunden zustande – sechs Sekunden schneller als Baumann bei seinem Rekord. Dritter wurde Lokalmatador Lorenz Baum (LAV), der eine immer noch herausragende Zeit von 1:10:11 Stunden schaffte.

Hochspannend und fast ebenso überraschend war der Lauf der Frauen. Denn Seriensiegerin Anais Sabrié wurde kurz vor dem Ziel noch abgefangen. Am Heuberger Tor lag sie noch klar in Führung, doch auf dem Weg ins Ziel schaltete Corinna Coenning vom TSV Glems den Turbo ein und überrannte die LAV-Läuferin. Am Ende gewann sie mit 1:20:04 gegenüber 1:20:29 Stunden von Sabrié. Die wiederum konnte sich ein wenig damit trösten, dass sie gemeinsam mit Anja Karau und Katrin Kommer die Teamwertung überlegen gewann.

In diesem Coronajahr war auch der letzte Platz im Feld noch interessant. Denn ausgerechnet der Sieger des allerersten Nikolauslaufs 1976, Horst Drebenstedt (75), belegte den. Er brauchte dafür knapp unter drei Stunden – und war hochzufrieden. Das waren übrigens so gut wie alle Läufer und Läuferinnen des diesjährigen realen Nikolauslaufes.

Alleine schon das Wetter meinte es gut mit den Sportlern. Die Freude auf der Strecke, die von den Nikolausläufern ausging, war zu spüren. Viele rannten gleich im Nikolauskostüm durch den Schönbuch – und zwar die gesamten 21 Kilometer des Halbmarathons im Tübinger Norden.

Startschuss von Palmer

Gestartet wurde der sicherheitshalber in drei Startergruppen, dazwischen lagen immer vier Minuten. So entzerrte sich das Feld, die Gruppeneinteilung war über die einzelnen Leistungsvermögen erfolgt. Den Startschuss gab der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ab. Die Zuschauer an der Piste, und das ist Tradition beim Nikolauslauf, feuerten jeden an, der an ihnen vorbei hirschte. Auf den Startnummern sind die Namen aufgedruckt, da konnten dann alle auch noch ganz familiär nach vorne gepuscht werden.

Bei den alternativ angebotenen Läufen kamen alleine beim virtuellen Halbmarathon weitere 451 Läufer ins Ziel, beim 10-Kilometer-Lauf auch noch mal mehr als Hundert. Und etliche werden sich dann im Verlauf der Woche noch auf die Socken machen und sich selbst auf der Originalstrecke stoppen, um zu sehen, was gegangen wäre.

Jedenfalls haben die Organisatoren vom Post SV und all die vielen Helfer ein tadelloses Laufereignis geschafft – und das in wirklich komplizierten Zeiten. Entsprechend dankbar meldeten sich auch Hunderte in den sozialen Medien und bedankten sich nochmals. Und alle warten auf den Lauf 2022 – das wird dann bereits der 48. Lauf sein. Nicht lange, dann folgt das runde Jubiläum in drei Jahren. Werner Bauknecht