Der Kommentar

Düstere Zeitzeugen

11.11.2020

Von Stefan Zibulla

Stefan Zibulla macht sich Gedanken über das Gedenken

Stefan Zibulla macht sich Gedanken über das Gedenken

Gedenkveranstaltungen mit Publikum am Volkstrauertag werden im Kreis Tübingen dieses Jahr wegen Corona abgesagt. In Deutschland wurde dieser Tag erstmals 1925 zum Gedenken an die getöteten Soldaten des Ersten Weltkriegs begangen. Von den Nationalsozialisten wurde er 1934 in Heldengedenktag umbenannt. Der Heldenkult des deutschen Militarismus ist bis heute auf vielen Kriegerdenkmälern konserviert.

„Den Helden des Weltkriegs 1914 – 1918“ steht beispielsweise auf einem Denkmal auf dem Tübinger Stadtfriedhof aus dem Jahr 1921. Den Soldatenkopf mit Stahlhelm und Grabenpanzer im Giebel der tempelartigen Fassade beschrieb der verstorbene TAGBLATT-Redakteur Helmut Hornbogen in seinem Buch über den Friedhof als „Zeichen für Kampfbereitschaft und Vergeltung“.

Das Tübinger Ehrenmal des 10. Württembergischen Infanterieregimenst, das im 1. Weltkrieg in Frankreich kämpfte, war schon in der Weimarer Republik umstritten. Was die jüngste Beschädigung dieses Denkmals mit Farbe und aufgesprühten Parolen nicht legitimiert. Eine kritische Gedenkkultur lebt von der offenen Diskussion, nicht von kriminellen Nacht-und-Nebel-Aktionen.

In Hemmendorf wurde diese notwendige Diskussion geführt, nachdem der TAGBLATT ANZEIGER im Sommer das Kriegerdenkmal, das an getötete Soldaten beider Weltkriege erinnert, thematisiert hat. Vor zwei Wochen votierte der Ortschaftsrat geschlossen dafür, die Inschrift „Im Frieden mit Gott starben für’s Vaterland den Heldentod im Weltkrieg 1914 bis 1918 aus hiesiger Gemeinde“ nicht zu verändern. Zwar distanzierte sich Thomas Braun mit großem Nachdruck vom Inhalt dieses Satzes. Trotzdem besitzt er nach Meinung des Ortsvorstehers historischen Wert und soll als Mahnung stehen bleiben, „damit so etwas nicht mehr passiert“.

Auch wenn diese Interpretation eines rund 100 Jahre alten Textes sehr reflektiert klingt: Zu ihren Risiken und Nebenwirkungen gehört, dass sie sich nicht zwangsläufig jedem Betrachter dieses düsteren Zeitzeugen an der katholischen Kirche erschließen muss. In Karlsruhe zum Beispiel werden deshalb Gedenkskulpturen, die den Tod der Kriegsopfer glorifizieren, mit Infotafeln ergänzt.

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Erstellt:
11.11.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 56sec
zuletzt aktualisiert: 11.11.2020, 01:00 Uhr

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