Tübingen

Ein Film über Musik und Demenz: „Seelenbalsam“ war die Initialzündung

01.02.2017

Von Andrea Bachmann

Das Filmteam bei den Dreharbeiten zu dem Dokumentarfilm „Aus dem Takt“ mit einer der Protagonistinnen im Winter. Bilder: Christoph Jäckle

Das Filmteam bei den Dreharbeiten zu dem Dokumentarfilm „Aus dem Takt“ mit einer der Protagonistinnen im Winter. Bilder: Christoph Jäckle

Tübingen. Constanze Ramsperger, Christoph Jäckle und Oliver Lichtwald, Studierende am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen, hatten die Konzerte begleitet, die die Württembergische Philharmonie Reutlingen für demenziell erkrankte Menschen und ihre Angehörigen organisiert – die „Seelenbalsam-Konzerte“.

Schnell war den Dreien klar: Musik und Demenz sollte das Thema ihrer praktischen Masterarbeit werden. Die drei Medienwissenschaftler suchten nach Menschen, die an Demenz erkrankt sind und in deren Leben Musik eine wichtige Rolle gespielt hat und trafen ihre vier Protagonisten in Tübingen und Reutlingen. Herausgekommen ist ein nachdenklicher, sensibler und heiterer Dokumentarfilm, der am kommenden Samstag, 4. Februar, in Tübingen Premiere hat.

„Musik gilt als Königsweg zu Menschen mit Demenz“, erklärt Kameramann Christoph Jäckle. „Wenn die Sprache nicht mehr funktioniert, kann man jemanden noch über Musik erreichen, das ist eine wichtige Kommunikationsebene. Musik weckt Erinnerungen und ist eine wichtige Ressource, die die Stimmung und damit die Lebensqualität der Menschen mit Demenz verbessert.“

Drei Frauen und ein Mann werden von dem Kamerateam begleitet und gefilmt: in ihrem Alltag und immer wieder bei musikalischen Veranstaltungen wie Konzerten, Singstunden oder Tanztees oder beim Klavierspiel. Die vier Betroffenen waren keine Berufsmusiker, sind aber gerne in Konzerte gegangen, haben im Chor gesungen oder ein Instrument gespielt. „Musik macht ganz viel mit den Menschen“, meint Oliver Lichtwald. Er ist selbst DJ und Inhaber eines Plattenlabels, Musik spielt in seinem Leben eine große Rolle. „Wer Musik hört oder macht, muss an nichts anderes mehr denken, er kann völlig loslassen und ganz bei sich selbst sein.“

Auch für die Angehörigen ist die Musik eine wichtige Brücke zu den Eltern oder den Ehepartnern. „Die Seelenbalsam-Konzerte sind eine schöne Möglichkeit, etwas gemeinsam zu unternehmen, was man sich sonst nicht mehr trauen würde. Konzerte bieten einfach eine Chance zur gesellschaftlichen Teilhabe.“

Das Besondere an „Aus dem Takt“ ist: Der Film ist keine Dokumentation, die erklärt, einordnet oder Experten zu Wort kommen lässt, sondern ein Dokumentarfilm, der den Protagonisten den Raum gibt, von und über sich und die Musik zu sprechen, ohne das zu kommentieren. Keine Situation ist inszeniert oder gestellt. „Das wäre auch gar nicht mehr gegangen“, vermutet Constanze Ramsperger, die hauptsächlich die Gespräche vorbereitet und die Interviews geführt hat. „Wir mussten immer von der jeweiligen Situation ausgehen und Fragen stellen, die unsere Protagonisten auch beantworten konnten.“

Im Umgang mit den Demenzkranken hat das Filmteam gelernt, die Patienten in ihrer Welt anzuerkennen, nicht zu widersprechen und auch nichts richtig zu stellen. „Für mich hat sich das Schreckgespenst Demenz wirklich enttabuisiert“, erzählt Christoph Jäckle. „Mir ist klar geworden, dass die Menschen trotz ihrer schweren Erkrankung glückliche Momente haben.“

„Ich war überrascht, wie gut ich mit den demenziell Erkrankten noch Interviews führen kann. Anfangs hatte ich immer nur das Endstadium der Krankheit im Kopf und mir war gar nicht klar, wie viele Abstufungen es gibt.“

Alzheimer sei eine „krasse Diagnose“, finden die jungen Filmemacher. Aber für ihr eigenes Älterwerden hätten sie viel gelernt. „Wir sprechen alten Menschen oft ab, dass sie glücklich sein und sich auch weiter entwickeln wollen. Aber das hört tatsächlich nie auf. Man wird die ganze Zeit.“

Andrea Bachmann

Der Film „Aus dem Takt“ hat am Samstag, 4. Februar, um 17.30 im Kino Museum Premiere.

In der Woche drauf gibt es täglich eine Vorstellung.

Weitere Vorstellungen, auch im Rottenburger Waldhorn und im Kamino in Reutlingen, sind in Planung.

www.aus-dem-takt.de

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Erstellt:
01.02.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 01.02.2017, 01:00 Uhr

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