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Ein Projekt möchte allen Kinder Schwimmsicherheit beibringen

Das Projekt „Schwimmen für alle Kinder“ möchte Kindern aus sozial schwachen Familien und aus Flüchtlingsfamilien Schwimmunterricht ermöglichen.

18.07.2018

Ein Projekt möchte allen Kinder Schwimmsicherheit beibringen

Tübingen. „Schwimmen für alle Kinder“ ist ein Projekt der Kindercard Stadt Tübingen in Kooperation mit dem Runden Tisch Kinderarmut. Es startete im April 2015. Aktuell wurde das 333. „Seepferdchen“ – das erste Schwimmabzeichen, das man machen kann – abgeschlossen. Das eigentliche Ziel ist allerdings Schwimmsicherheit, also das Jugendschwimmabzeichen Bronze, das inzwischen 240 Teilnehmer geschafft haben. Der TAGBLATT ANZEIGER traf das Projektteam. Den Fragen stellten sich: die Projektleiterin Dagmar Müller, die Schwimmlehrer Qasim Ali, Mouhanad Hasson, Alexandra Geiger García, Aiham Shalghin, Anna Jürgens, Julia Bundschuh und Theresa Marie Nocker (Anmeldeprozess).

TAGBLATT ANZEIGER: Wie entstand das Konzept?

Dagmar Müller: Ich hatte immer das Ziel, etwas für Kinder zu machen, wenn ich mit meiner Berufstätigkeit aufhöre. Beim Runden Tisch Kinderarmut lernte ich das Projekt Kindercard kennen, durch das Kinder, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, vergünstigte Angebote in der Stadt wahrnehmen können. Ich habe mir das Angebot angesehen und gefragt, weshalb es keines für Schwimmenlernen gibt. Alle sagten, das gehe gar nicht. Es gäbe keinen Platz, zu wenig Schwimmfläche, noch nicht einmal reduzierte Eintrittspreise. Das fand ich inakzeptabel und habe mir überlegt, wie man das aufziehen könnte. Zusätzlich zu unserer eigentlichen Zielsetzung, Kinder von 5-16 Jahren schwimmsicher zu machen, bieten wir auch Schwimmausbildung für Jugendliche ab 16 Jahren an. Einfach, weil sich gezeigt hat, dass ein Bedarf besteht und weil es in dieser Altersgruppe viele Badeunfälle gab.

Unterstützen die Tübinger Schwimmschulen das Projekt?

Müller: Wir kaufen beim Tübinger Schwimmverein, der DLRG und den drei Schwimmschulen Roth, Braun und Kiwi Schwimmausbildungsplätze zu reduzierten Preisen ein.

Julia Bundschuh: Ich bin zu dem Projekt gekommen, indem ich für die Schwimmschule Braun gearbeitet habe.

Wie ist es mit einer Gruppe von Geflüchteten im Schwimmbad? Wie kommt das bei anderen Badegästen an?

Aiham Shalghin: Die Badegäste sehen die Begeisterung der Kursteilnehmer. Manchmal wird der Platz ein wenig eng, aber es läuft immer sehr gut und in gegenseitigem Respekt ab.

Anna Jürgens: Ein Mann im Rollstuhl, der auch immer mittwochs da ist, hat uns schon öfters angesprochen und sich darüber gewundert, dass wir als junge Frauen Kurse mit jungen Männern betreuen. Wir freuen uns, wenn gegenseitiges Interesse und Kontakt entsteht.

Julia Bundschuh: Es funktioniert auch deswegen so gut, weil wir großen Wert darauf legen, die Baderegeln zu vermitteln.

Dagmar Müller: Wir haben einmal eine Anfrage für eine Reportage erhalten. Als alle Beteiligten sagten, dass sie keine negativen Erfahrungen bezüglich kultureller Schwierigkeiten mit jungen Geflüchteten zu berichten hätten, gab es keine Reportage. Es sollte also kein positives Beispiel als Gegenpol zu den medienwirksamen negativen geben – was wir natürlich sehr schade fanden.

Warum ist es wichtig, schwimmen zu können?

Julia Bundschuh: Neben dem Sicherheitsaspekt geht es auch darum, sich selbst etwas zu erarbeiten, was das Selbstvertrauen stärkt. Der Fortschritt beim Schwimmen ist relativ rasch zu erreichen und deutlich zu sehen.

Anna Jürgens: Es geht auch ganz viel ums Dazugehören, zum Beispiel beim Klassenausflug. Und es ist auch eine Kompetenz, die man mitnehmen kann, falls man das Land wieder verlassen muss.

Dagmar Müller: Es ist Überlebensversicherung und Persönlichkeitsentwicklung. Ich kenne auch einen Fall von einem Jungen, der aufgrund des positiven Erfolgserlebnisses im Schwimmkurs – er hatte das Seepferdchen geschafft – in der Schule viel besser wurde.

Mouhanad Hasson: Geflüchtete Kinder haben neben dem Besuch der Sprachschulen viel freie Zeit. Zeit, die sich nutzen lässt, um etwas Neues zu lernen. Schwimmen zu können dient der Integration, es bedeutet dazuzugehören. Ich würde aber schätzen, 50 Prozent der geflüchteten Kinder können überhaupt nicht schwimmen.

Woran liegt das?

Mouhanad Hasson: Ich stamme auch aus Syrien, aber aus einer Stadt am Meer. Viele Eltern in anderen Teilen des Landes sehen keine Notwendigkeit, dass ihre Kinder schwimmen lernen.

Aiham Shalghin: Hallenbäder gibt es oft nur in großen Städten. Der Lebensstandard ist anders als hier. Viele Eltern können das nicht finanzieren.

Wie kommen die Kinder zu dem Projekt?

Dagmar Müller: Mittlerweile ist das Projekt sehr bekannt. Schulsozialarbeiter wenden sich an uns, Vormundschaften, Kirchen, Asylkreise, die Martin-Bonhoeffer-Häuser und viele andere soziale Projekte. Übrigens erhalten alle bedürftigen Kinder einen Platz. Es freut uns immer wieder sehr, dass es zu Freundschaften zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten kommt. Auch den Begleitern und Eltern wird ein Raum ohne Berührungsängste geboten.

Das Interview führte Philipp Schmidt

Das Projekt braucht Unterstützer, alle Infos finden sich unter: www.buefa-tue.de/Schwimmen_für_alle_Kinder

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Erstellt:
18.07.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.07.2018, 01:00 Uhr

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