Aus der Luft und zu Fuß (23)

Entringen

Entringen kann von sich behaupten, den vermutlich höchsten, aber sicherlich schiefsten Dorfkirchenturm Württembergs sein eigen zu nennen. Der Grund liegt in der Geologie.

28.03.2018

Von Andrea Bachmann

Bilder: Erich Sommer

Bilder: Erich Sommer

Ein Teil des Fundaments steht auf einem Gipsfels. Als die Bauleute Ende des 15. Jahrhunderts eine bestimmte Höhe erreicht hatten, begann der Turm nach Nordwesten zu kippen. Das Problem wurde pragmatisch gelöst: Die Baumeister fügten ein weiteres Gesims ein, legten dies „ins Wasser“ und bauten munter weiter: „Je höher der Kirchturm, desto schöner das G’läut, je weiter der Schatz, umso größer die Freud“, ritzte ein Ofensetzer auf einen der Entringer Turmziegel. Schließlich war der Turm vom Kirchhof bis zum Hahnenkamm über 70 Meter hoch. Ein Meisterwerk, in das leider immer wieder der Blitz einschlug. 1907 hing der Turm an der Spitze 1,40 Meter über seine nordwestliche Kante hinaus. Er wurde daraufhin auf etwa 55 Meter Höhe abgetragen. Damit ist er einen knappen Meter niedriger als der Turm der Herrenberger Stiftskirche, aber immer noch der höchste Dorfkirchenturm weit und breit.

Die Kirche passt zum Turm. Für eine Dorfkirche ist St. Michael fast übertrieben geräumig. Die ungewöhnliche Größe hat mit der Nähe zur Burg Hohenentringen zu tun. Bei der im 12. Jahrhundert entstandenen Burg handelte es sich um eine sogenannte Ganerbenburg, das heißt, sie gehörte als Lehen immer einer ganzen Gemeinschaft von erbberechtigten Familienangehörigen. 1417 lebten fünf große Familie auf Hohenentringen, die es zusammen auf über 100 Kinder gebracht haben sollen. Sonntags gingen sie mit all ihren Kindern in die Kirche. Angeblich verließen die letzten Familienangehörigen gerade die Burg, wenn die ersten die Kirche betraten. Für eine solche Familie reichte eine kleine Kapelle natürlich nicht aus. Und letztendlich sollte die Kirche in Entringen nicht nur dem Seelenheil derer von Ehingen dienen, ganz gleich wie viele von ihnen gleichzeitig am Sonntagsgottesdienst teilgenommen haben mögen, sondern auch deren Macht und Reichtum sowie die Nähe zu den Grafen von Württemberg repräsentieren.

Weniger rekordverdächtig, aber ebenso schön und immerhin mit dem Prädikat „Denkmal des Monats Juli 2014“ von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg ausgezeichnet, ist die große Entringer Zehntscheuer, in deren Holzkonstruktionen 1619 noch die Vögel gesungen haben. Die Doppelscheune mit den zwei Tennen existiert jedoch vermutlich seit 1490, jedenfalls wurden bei Sanierungsarbeiten so alte Holzstücke im Mauerwerk gefunden.

Im Februar 2013 begann der Förderverein Zehntscheuer Ammerbuch-Entringen mit der Sanierung der alten Scheune im historischen Ortskern, die jetzt als Kultur- und Begegnungszentrum genutzt wird. Zuvor diente das Gebäude lange Jahre zu Abstellzwecken, nachdem die Gemeinde es privaten Eigentümern abgekauft hatte, die die ehemalige Zehntscheuer nach der Abschaffung der Naturalabgabe 1850 nutzten.

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Erstellt:
28.03.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 28.03.2018, 01:00 Uhr

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