Aus der Luft und zu Fuß (24)

Ergenzingen

Alle wollen nach Ergenzingen. Kaum eine andere Gemeinde wächst so rasant wie dieser größte Rottenburger Stadtteil, der sich in den vergangenen 25 Jahren über einen Bevölkerungszuwachs von 700 Menschen freuen konnte.

04.04.2018

Von Andrea Bachmann

Bilder: Sommer

Bilder: Sommer

Dass es sich dort gut leben lässt, wussten schon die Menschen in der Jungsteinzeit, Funde von Feuersteinmessern und Steinbeilen weisen darauf hin. Bereits 780 hat es hier wohl eine Kirche gegeben, die unter dem Schutz von Heiligen mit den seltsamen Namen Nazarius, Basilides, Nabor und Cyrinus stand. Das waren römische Soldaten, die den Versuch, Kaiser Diokletian das Christentum nahe zu bringen, damit bezahlten, dass man sie Skorpionen zum Fraß vorwarf. Der Sichtbetonneubau aus den 60er-Jahren, dessen Dachkonstruktion an ein riesiges Zelt erinnert, wurde Heilig-Geist-Kirche genannt, was zur pfingstlichen Aufbruchstimmung des II. Vatikanischen Konzils besser passte als die unaussprechlichen Namen der frühchristlichen Märtyrer.

Es ist vermutlich die vierte Kirche, die an dieser Stelle gebaut wurde. Von dem gotischen Vorgängerbau aus dem 15. Jahrhundert stammt noch der Turm und die älteste Glocke der Kirche, die 1502 gegossen wurde. Damals lag das Patronatsrecht bei der Erzherzogin Mechthild von der Pfalz, Ergenzingen gehörte zu den Besitzungen der Grafen von Hohenberg, allerdings sind die Besitzverhältnisse so verworren, dass Memmingers Oberamtsbeschreibung aus dem Jahre 1828 volle zwei Seiten braucht, um die ganzen Ulrichs und Ottos, Albrechts und Heinrichs, Burkhards und Luitfelds aufzuzählen, die im Mittelalter Gülten und Vergabungen, Pfarrsätze und Lehensgüter in und um Ergenzingen ihr eigen nannten. 1772 hatten die Ergenzinger an nicht weniger als 29 geistliche und weltliche Grundherren Abgaben zu entrichten.

Ein paar Jahre später, 1789, stürmte man in Paris die Bastille und in Ergenzingen den Marktplatz. Da bekam der Flecken ein Marktrecht. Ein „allerhöchstes Hofdekret“ erklärte den Bewohnern am 2. Januar: „Der nieder- hohenbergoischen Gemeinde Ergenzingen werden die angesuchten Ross-, Vieh- und Kramwaren-Märkte an dem Faßnachts-Montage und am Montage nach Mariä Geburt (15. September) bewilligt.“ Heute sind es etwa 40 Marktbeschicker, die sich am 1. Monat im Mai und am Freitag nach der Kirbe rund um den Brunnentrog aus Dießender Sandstein, der seit 1855 den Platz schmückt, versammeln, um Dinge des tägliche Bedarfs, Nützliches und Kurioses feil zu bieten.

Bald versuchte die Gemeinde, mit dem Krämermarkt so viel Rendite wie möglich zu erwirtschaften. Sie überließ 1798 einem Ehninger Spitzenverkäufer einen Standplatz für ein erheblich höheres Standgeld als das, was dessen Vorgänger bis dahin bezahlt hatte. Dieser, ein Eisenwarenhändler aus Tirol, beschwerte sich, woraufhin das Oberamt Rottenburg den Ergenzingern „Eigensinn“ und „unerlaubte Gewinnsucht“ vorwarf. Die Markttermine haben sich seitdem geändert und statt einfachen Bretterbuden und Zelten fahren nun moderne Verkaufswagen vor.

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Erstellt:
04.04.2018, 11:18 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 17sec
zuletzt aktualisiert: 04.04.2018, 11:18 Uhr

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