Hendrix‘sche Heimatmelodien

Erika Stucky präsentiert ihre Klangperformance Openair im Reutlinger Echaz-Hafen

Erika Stucky ist nicht nur als Alleinunterhalterin ein Phänomen. In ihrem neuen Programm „Call Me Helium – The Music of Jimi Hendrix“ bricht sie mit allen Gepflogenheiten, überschreitet die Grenzen des Rock-Genres.

25.05.2022

US-Schweizerin Erika Stucky musste in jungen Jahren einen Kulturschock von Flower Power zu Edelweiß überwinden, als ihre Eltern aus den USA zurück in die Schweiz gingen. Bild: Jürgen Spieß

US-Schweizerin Erika Stucky musste in jungen Jahren einen Kulturschock von Flower Power zu Edelweiß überwinden, als ihre Eltern aus den USA zurück in die Schweiz gingen. Bild: Jürgen Spieß

Einer ist immer der Punk. Einer, der ein paar Regeln bricht. Der das Publikum zu polarisieren versteht. Der sich anders inszeniert als der Rest. Dieser, nein, diese eine heißt in diesem Fall Erika Stucky, stammt aus San Francisco, lebt heute in der Schweiz – und sie singt. Wenn das eigenwillige Energiebündel die Bühne betritt, heißt es erstmal anschnallen und Ohren anlegen. Denn die in der Hippiebewegung aufgewachsene Performerin kann nicht nur jodeln, sie liebt auch extreme Klänge und produziert sich gerne als jemand, die eingefahrene Bezugsrahmen leicht, aber unverkennbar verschiebt.

Um die Musik dieser extrovertierten Weltenbummlerin zu verstehen, muss man folgendes wissen: Erika Stucky wurde 1962 als Kind Schweizer Hippies in San Francisco geboren. Anfang der 1970er-Jahre zog die Familie wieder zurück in die eidgenössische Heimat. Statt Flower Power gab es nun Edelweiß, statt Jimi Hendrix und The Who Jodler und Hackbrett. Von diesem Kulturschock hat sich die jodelnde US-Schweizerin wohl bis heute nicht ganz erholt. Glücklicherweise, denn nun lebt sie die Aufarbeitung ihres Traumas öffentlich aus. In ihrem aktuellen Programm „Call Me Helium – The Music of Jimi Hendrix“ macht sie sich den Geist der 1960er-Jahre und die Stimmung der Hendrix-Songs zu eigen, nur um sie mit ihren ureigenen, anarchischen Mitteln und ihrer kraftvoll-trotzigen Stimme anzureichern und weiterzuentwickeln.

Dabei geht es ihr nicht darum, das Original zu kopieren. Stucky versucht vielmehr, Hendrix-Songs wie „Voodoo Child“, „Experience“, „Six was Nine“, „Foxy Lady“ oder „Hey Joe“ eine modifizierte, abenteuerliche Wendung zu geben. Mit dem Stratocaster-Gitarristen Christy Doran, dem Drummer und Perkussionisten Fredy Studer und der E-Bass-Legende Thomy Jordi setzt sie die Errichtung eines klingenden Denkmals für Hendrix fort, denn bereits im Jahr 2005 hat Erika Stucky mit der Live-CD „Jimi“ einen bemerkenswerten Grundstein gelegt, damals noch mit der E-Bassistin Kim Clarke.

Der Spirit von Jimi Hendrix

gespielt mit heutiger Musik

Auf keinen Fall ginge es der eidgenössisch-amerikanischen Allstarband darum, das Werk des Meisters nachzuspielen oder kompliziert zu verjazzen: „Wir versuchen einfach den Spirit und die Energie seiner Musik rüberzubringen, mit der Erfahrung heutiger Musik“, so Erika Stucky. Dabei entsteht eine kunstvoll gebrochene Klangreise als musikalische Ästhetisierung und gleichzeitig ein musikalisches Crossover-Tableau mit Seltenheitswert. Gleichwohl wirkt die häufig mit Fellmütze und in Flower-Power-Klamotten auftretende Stucky wie die Erscheinung aus einer anderen Welt.

Vieles scheint bei der originellen US-Schweizerin in einer einzigen, die Stimmbänder strapazierenden Nummer stattzufinden: Beschwörungsgesang, Sirenengeheul, Girren und Gurren, Babytalk-Faxen und waschechte Jodler in schweizerischer Tradition. Dann kippt die Stimme urplötzlich in raue Gowls und Wa-Wa-Effekte, als wäre Louis Armstrong oder Tom Waits auf der Bühne erschienen. Das hin- und her switchen zwischen den Kulturen, vom Schwyzer Bergdorf Oberwallis zum Hippie-inspirierten San Francisco und umgekehrt, macht Erika Stucky offensichtlich am meisten Spaß.

Die Schweizerin ist keine der Sängerinnen, die mit ihren Liedern Wohlklang erzeugen will. Ihr geht es bei der wiederauflebenden Hendrix-Hommage um Details, um winzige Brüche, die eine völlig andere, individuelle Erfahrungswelt in diese Musik einkehren lassen. Mal sehen, was ihr sonst noch so alles zum Gitarrengott Jimi Hendrix einfällt. Jürgen Spieß

Stucky – Doran – Studer – Jordi: „Call Me Helium – The Music of Jimi Hendrix“ am Sonntag, 5. Juni, 19 Uhr, im Reutlinger Echaz-Hafen.