Erdverbundene Poesie

Filmregisseur Andreas Dresen mit musikalischem Gundermann

Andreas Dresen ist nicht nur Regisseur, sondern auch Professor für Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Und er ist ein begeisterter Musiker, der am 4. September mit Alexander Scheer, dem Hauptdarsteller des „Gundermann“-Films und einer vierköpfigen Band Lieder von Gerhard Gundermann beim Hafen-Sounds-Festival präsentiert. Im Interview verrät Andreas Dresen, warum er Gundermanns Lieder so liebt und was die Besucher bei seinem Konzert im Reutlinger Echaz-Hafen erwarten dürfen.

01.09.2021

Andreas Dresen spielt am Samstag, 4. September, beim Hafen-Sounds-Festival. Bild: Pandora Film/Peter Hartwig

Andreas Dresen spielt am Samstag, 4. September, beim Hafen-Sounds-Festival. Bild: Pandora Film / Peter Hartwig

Herr Dresen, kannten Sie Gerhard Gundermann persönlich oder wie kamen

Sie dazu, ausgerechnet über ihn einen Film zu machen

und nun selbst dessen Lieder zu singen?

Ich kannte Gerhard Gundermann leider nicht persönlich, habe aber viele seiner Konzerte besucht und auch die CDs gekauft. Ich mochte die Musik und auch seine Art. Man hat ihm geglaubt, was er gesungen hat. Wahrscheinlich lag das auch daran, dass er auch als erfolgreicher Musiker noch auf Schicht in den Tagebau gefahren ist. Deswegen war er für mich als Filmemacher und Musiker natürlich spannend und das ist sicher auch der Grund, weshalb seine Lieder bis heute zeitlos populär sind.

Was hat Sie besonders beeindruckt an dem ostdeutschen Liedermacher und war es schwierig, den

Film zu realisieren?

Er stand mit den Füßen im Schlamm der Braunkohle und war gleichzeitig mit dem Kopf in den Wolken. Seine Poesie hat etwas erdverbundenes, fast volksliedhaftes. Viele seiner Lieder berühren mich noch heute sehr. Dazu kommt seine zerrissene Biografie. Er hat ja eine Zeit lang mit der Stasi kooperiert, später wurde er selbst bespitzelt. Die Widersprüchlichkeit der DDR spiegelt sich in seinem Leben und in seinen Liedern. Natürlich hat es viele Jahre gebraucht, aus solch einem zwar kurzen, aber sehr komplexen Leben, ein Drehbuch zu entwickeln.

Sie treten mit ihrem Gundermann-Programm im Osten und Westen der Republik auf. Erleben Sie da große Unterschiede, was den Wiedererkennungswert beim Publikum angeht? Oder anders gefragt: Haben Sie den Eindruck, dass die Lieder von Gundermann auch im Westen angekommen sind?

Durchaus. Wir haben schon im ausverkauften Hamburger Schauspielhaus vor über tausend Leuten gespielt, kürzlich in Göttingen, jetzt bei Ihnen in Reutlingen. Und zu den Konzerten kommen die Menschen gerade aus dem Westen teilweise viele hundert Kilometer angereist. Diese Songs sind ja nicht explizit ostdeutsch, sondern universal und das spüren die Menschen. Im Westen sind sie vielleicht noch nicht ganz so textsicher – aber das kommt sicher auch noch.

Spielen Sie bei Ihrem Konzert ausschließlich Songs aus dem Film oder auch andere Gundermann-Lieder?

Wir spielen auch viele Gundermann-Songs, die es aus verschiedenen Gründen nicht in den Film geschafft haben. Dazu kommen etwa Stücke von Rio Reiser und auch Gisbert zu Knyphausen oder Pankow, denn da gibt es durchaus Berührungspunkte zu Gundermann-Liedern.

Sie sind selbst in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Inwiefern hat das Ihr Verhältnis zur Musik beeinflusst?

Wir haben gehört, was wir kriegen konnten. Und da man an Musik aus dem Westen nicht so einfach rankam, war das natürlich die große Sehnsuchtsnummer. Ich bin ja die Generation Beatles und habe alles auf Kassette mitgeschnitten, dessen ich habhaft werden konnte. Das hat auch zu einem viel bewussteren Hören geführt, zu einem größeren Genuss. Es ist nicht immer hilfreich, wenn man alles haben kann. Heutzutage weiß man ja kaum noch, wo man anfangen soll, soviel Musik ist verfügbar.

Gerhard Gundermann hat mal vom ‚Druck der Erinnerung‘ gesprochen. Verspüren Sie den auch?

Klar, ich denke, das geht jedem Menschen so. Man lebt doch mit der eigenen Vergangenheit im Herzen, möchte seine Erfahrungen teilen. Deswegen ist es ja auch so wichtig, miteinander zu reden, die unterschiedlichen Lebensgeschichten zu erzählen. Und dafür ist zum Beispiel das Kino ein wunderbarer Ort.

Worum geht es in Ihrem nächsten Film? Handelt er wieder von der Aufarbeitung der DDR und wann wird er erscheinen?

Mein neuer Film hat gar nichts mit der DDR zu tun. Er erzählt die Geschichte der Mutter von Murat Kurnaz aus Bremen, der unfassbare fünf Jahre unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo gesessen hat. Seine Mutter Rabiye hat gemeinsam mit dem Bremer Anwalt Bernhard Docke um seine Befreiung gekämpft, ist dabei bis vor den Supreme Court in den USA gezogen - und hat gewonnen! Eine einfache türkische Hausfrau aus Bremen besiegt den amerikanischen Präsidenten. Diese Geschichte ist so unglaublich wie erzählenswert. Im kommenden Jahr kommt der Film in die Kinos, aber einen genauen Termin habe ich noch nicht.

Die Fragen stellte Jürgen Spieß

Andreas Dresen tritt mit seinem Gundermann-Projekt am Samstag, 4. September, um 19..30 Uhr, im Reutlinger Echaz-Hafen auf.

Biografie Andreas Dresen:

Der Sohn der Theaterschauspielerin Barbara Bachmann und der Theaterregie-Legende Adolf Dresen wurde am 16. August 1963 in Gera geboren. Von 1979 bis 1982 besuchte er in Schwerin die Erweiterte Goethe-Oberschule. Dort drehte er seine ersten Amateurfilme und führte bei Schultheaterstücken Regie. Darauf folgte 1986 bis 1991 ein Regiestudium an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, das er mit einem Diplom abschloss. Mit seinem zweiten Kinofilm „Nachtgestalten“ (1999) schaffte er den Durchbruch als Filmregisseur. Seine bekanntesten Kinofilme sind „Halbe Treppe“ (2002), „Sommer vorm Balkon“ (2005), „Wolke 9“ (2008), „Halt auf freier Strecke“ (2011) und „Gundermann“ (2018), der insgesamt sechs Lolas beim Deutschen Filmpreis 2019 gewann, darunter den Preis für den besten Film.