Eleganter Gegenentwurf

Gerettete Tübinger Typographien: Buchhandlung Gastl

29.03.2023

Diese Perspektive erinnert an zwei traditionelle Buchhändler in Tübingen. Bild: Barbara Honner

Diese Perspektive erinnert an zwei traditionelle Buchhändler in Tübingen. Bild: Barbara Honner

Am 26. November 2022 schloss eine Tübinger Traditionsbuchhandlung für immer ihre Pforte. Auch die im Oktober 2021 gegründete Genossenschaft konnte die von Julie Gastl (1908-1999) und Gudrun Schaal (1917-2007) im Jahr 1949 gegründete Buchhandlung nicht mehr retten. Die Zeiten, in denen Buchhandlungen kulturelle Zentren und Treffpunkte für das Tübinger Geistesleben waren, sind vorbei.

Aber der Gastl blieb bis zuletzt eine Buchhandlung für gute Belletristik, die als Universitätsbuchhandlung die Schwerpunkte Theologie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Geschichts- und Sprachwissenschaft vertrat. Dies blieb sie auch trotz dreimaliger Umzüge innerhalb der Altstadt. Die Ausstellung „Die Buchhandlung Gastl. Tübinger Geistesleben der 1950er- bis 1980er-Jahre“ im Jahr 2019 im Stadtmuseum sowie das Buch „GastlWelt. Hommage an eine „alte Buchhandlung“, erschienen 2013 im Klöpfer & Meyer Verlag, gaben und geben erschöpfend Auskunft über ihre besondere Geschichte.

Der Schriftzug „Buchhandlung GASTL“, der für das Stadtmuseum Tübingen noch vor der Insolvenz gerettet werden konnte, war an der Hausmauer zur Wurstküche im Brüstungsbereich am ersten Obergeschoss angebracht und fand nach dem Umzug ins Nebenhaus keinen Platz mehr. Gleichzeitig zierten noch zwei Säulen einen vertikalen GASTL-Schriftzug mit denselben schweren, grauen Metall-Lettern. Diese erlebten ihre Auferstehung bis zur Aufgabe des Geschäfts nicht mehr.

Bei der Gastl-Typo handelt es sich um die Schrift Century Gothic, die innerhalb der Schriftklassifikation zur geometrischen Grotesk gehört, auch Sans-Serif-Schrift genannt. Denn Groteskschriften haben im Gegensatz zu Antiquaschriften keine Serifen („Füßchen“). Die Century Gothic wurde in den 1930er- und 40er-Jahren von dem US-Amerikaner Sol Hess (1886–1953) entworfen, der bei Lanston Monotype als typografischer Manager und Art Director arbeitete. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, einen Gegenentwurf zur Futura von Paul Renner (1878–1956) zu gestalten. Diese markierte nach Erscheinen Ende der 1920er-Jahre den Aufbruch in eine neue Epoche der Gestaltung und beeinflusste Grafiker auf der ganzen Welt bis heute.

Sol Hess gelang eine moderne, elegante und ausgeglichene Variante, die der Futura auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich ist. Es sind oft nur kleine Unterschiede, die Typografen am kleinen a und g festmachen können. Diese Buchstaben sind ein eindeutiges Erkennungsmerkmal der Century Gothic. Sie ist eine klassisch schöne Schrift, die sogar für den Titel des James Bond Films „Casino Royale“ benutzt wurde. Natürlich ist auch die Century Gothic wie alle historischen Schriften ab den 1980er-Jahren digital aufbereitet worden. Barbara Honner

Mit dieser Serie stellen wir Schriften vor, die Barbara Honner vor der Entsorgung gerettet und dem Tübinger Stadtmuseum übergeben hat.