Von der Ferne gut lesbar

Gerettete Typografien: Die Osiandersche Buchhandlung

Über 90 Jahre hatte die Osiandersche Buchhandlung ihren Hauptstandort in der Tübinger Wilhelmstraße 12. Als dieser 2017 aufgegeben wurde, blieben beide vertikalen Aufschriften an den Seiten der Hauswände zunächst hängen. Erst im Februar 2021 wurde ein Satz der metallenen Lettern auf der östlichen Hausseite demontiert und der Stadtschriftsammlung übergeben.

17.11.2021

Eine Mischung aus Antiqua und Grotesk: Barbara Honner mit der Schrift der Tübinger Buchhandlung Osiander. Bild: Barbara Honner

Eine Mischung aus Antiqua und Grotesk: Barbara Honner mit der Schrift der Tübinger Buchhandlung Osiander. Bild: Barbara Honner

Die Schriftzüge „Osiander“ stammen aus den 1970er-Jahren und waren ehemals beleuchtet. Nach Aussage der Familie Riethmüller sind sie nach einem Entwurf der ehemaligen und inzwischen verstorbenen Buchhändlerin Ursula Plag entstanden. Die Reutlinger Pfarrerstochter trat 1952 ihre Ausbildung bei Osiander an und ging nach 41 Jahren 1993 in den Ruhestand. In dieser Zeit baute sie u.a. den Kunst- und Musikalienbereich aus und es heißt, sie kannte das Köchelverzeichnis sowie alle Bach-Kantaten auswendig. Ursula Plag war aber auch bekannt für ihre künstlerische Begabung. Sie gewann zahlreiche Preise für ihre Schaufenstergestaltung und war Hauskalligraphin der Buchhandlung.

Der Schriftzug „Osiander“ ist in Versalien gestaltet und auch von der Ferne sehr gut lesbar. Jeder Buchstabe hat eine Höhe von etwa 40 Zentimeter. Die Schrift selbst ist eine Mischung aus einer Antiqua- und Groteskschrift. Während die eine normalerweise deutliche Serifen aufweist, verzichtet die andere gänzlich darauf. Bei diesem Entwurf sind die Füßchen eher angedeutet und weisen daher Ähnlichkeit mit den beiden großen Weltschriften Albertus und Optima auf. Deren Schöpfer gelten noch heute als weltberühmte Schriftgestalter, die mehrere Generationen von Grafikern und Typografen auf der ganzen Welt beeinflussten. Diese Schriftenarten sind nicht eindeutig klassifizierbar, weswegen sie „Bastardschriften“, heute „Hybridschriften“ genannt werden und zu den Zierschriften gehören. Die Albertus des Typografen Berthold Wolpe (1905 bis 1989) erschien 1940. Er emigrierte als Sohn jüdischer Eltern 1935 nach England. 2017 wurde die Albertus als Albertus Nova digitalisiert.

Auch die 1958 veröffentlichte Optima des gebürtigen Nürnbergers Hermann Zapf gehört zu den schönsten Schriften der Welt. Sie begegnet uns aktuell im Silberburg-Schriftzug am Marktplatz. Zapf übernahm 1977 die erste Professur für computergestützte Typografie in Amerika. Er starb hochbetagt 2015 in Darmstadt. Von welcher der beiden Schriften sich Ursula Plag auch immer hat inspirieren lassen, sie bewies ein gutes Gefühl für perfekte Schriftgestaltung. Barbara Honner

Mit dieser Serie stellen wir Schriften vor, die Barbara Honner vor der Entsorgung gerettet und dem Tübinger Stadtmuseum übergeben hat.