Aus der Luft und zu Fuß (27)

Gomaringen

Seit 1191 weiß man von den Herren von Gomaringen, die bereits eine größere Burg mit Vorhof besaßen. Sie standen im Dienst der Tübinger Pfalzgrafen und stellten zweimal den Abt von Bebenhausen.

25.04.2018

Von Andrea Bachmann

Bilder: Erich Sommer

Bilder: Erich Sommer

Einer von ihnen, Peter von Gomaringen, muss neben seiner Frömmigkeit über einen ausgeprägten Schönheitssinn verfügt haben: Unter seiner Amtszeit bekam das Kloster den weithin sichtbaren, kunstvollen Vierungsturm, der eigentlich gegen die klösterliche Verpflichtung zu Armut, Demut und Bescheidenheit verstieß. Aber Peter von Gomaringen machte das Meisterstück mittelalterlicher Steinmetzkunst einfach der Jungfrau Maria zum Geschenk – ein kleines Fresko in der Klosterkirche berichtet noch heute davon – und zu so etwas Schönem konnte die ja schlecht nein sagen.

Auch die anderen Herren von Gomaringen hatten es gerne schön: 1307 baute man das dreigeschossige Fachwerkgebäude in der Südostecke der Ringmauer. Man stattete es mit einer behaglich beheizbaren Eckstube aus und gönnte sich hübsche, mit Papageien verzierte Rankenmalereien, die heute noch in einer Fensternische zu sehen sind.

Die mit diesem gehobenen Wohnkomfort verbundenen Kosten, Erbteilungen und fromme Schenkungen machten die Herren von Gomaringen leider nicht reicher und eines Tages sahen sie sich gezwungen, ihren Besitz an das Spital der Reichsstadt Reutlingen zu verkaufen. Jetzt residierte der Vogt von Reutlingen im Schloss, für den um 1500 der Südflügel ausgebaut wurde. Im 16. Jahrhundert errichteten die Reutlinger Vögte einen Brunnenstock im Schlosshof, bauten den Ostflügel und gestalteten den Südflügel des Schlosses um. Die Renaissance hielt mit schönem Zierfachwerk in Gomaringen Einzug. Auch das Große Haus in der Linsenhofstraße, ein sechsgeschossiges Fachwerkhaus, das als Meierhof diente, stammt aus dieser Zeit. Nach dem 30-jährigen Krieg kam Gomaringen an die Herzöge von Württemberg.

Zu Beginn des 18. Jahrhundert gehörte das Schloss vier Jahre lang der skandalumwitterten Mätresse von Herzog Eberhard Ludwig, der „schwäbischen Pompadour“ Wilhelmine von Grävenitz. Die renovierte aber nichts, erst ab den 30er-Jahren erhielt das Schloss weitgehend sein heutiges Erscheinungsbild.

Nachdem Gomaringen 1807 wieder zum damaligen Oberamt Reutlingen kam, wollte man im Schloss eigentlich eine Schule einrichten. Aber man besann sich anders und bis 1993 war das Gomaringer Schloss das vermutlich repräsentativste schwäbische Pfarrhaus, das es je gegeben hat.

Prominentester Kollege war ohne Zweifel Gustav Schwab, der von 1837 bis 1841 hier den Pfarrdienst versah. Gomaringen bekam schon damals keinen Unbekannten: Der Theologe, Lehrer und Journalist Schwab hatte zuvor für die „Blätter für literarische Unterhaltung“ von F.A.Brockhaus gearbeitet und ab 1828 gehörte er zur Redaktion des Verlages von Johann Friedrich Cotta, der das „Morgenblatt für die gebildeten Stände“ herausgab. Damit besetzte er eine Schlüsselposition der damaligen Literaturszene, sein Haus in Stuttgart avancierte zu einem „Literarischen Hauptquartier“, in dem sich so bekannte deutschsprachige Autoren trafen wie Ludwig Tieck, Franz Grillparzer und Friedrich Hebbel – von den jungen schwäbischen Dichtern ganz zu schweigen: Wilhelm Hauff, Wilhelm Waiblinger, Eduard Mörike, Hermann Kurz und viele andere.

1837 muss ihm der ganze Rummel zu viel geworden sein. Er bewarb sich um eine Pfarrstelle und zog nach Gomaringen, aufs Land, wo er mit seiner Frau, der Professorentochter Sophie Gmelin und seinen fünf Kindern das große Schloss bewohnte. Eine Auszeit war das nicht, ein idyllisches Landleben geht anders: Gustav Schwab betreute 1800 Menschen, einmal musste er zwanzig Predigten in einem Monat halten. Natürlich gab es manches zu feiern, wie zum Beispiel die Einweihung der neuen Kirche. Aber wie einem Pfarrer und Vater zu Mute gewesen sein mag, der während einer Masernepidemie in sechs Wochen 73 Kinder bestatten musste, möchte man sich gar nicht vorstellen.

Der Literaturbetrieb ging daneben weiter und neben vielen anderen Anthologien, schwäbischen Wanderführern und Gedichten und Balladen entstand auch das Buch, das noch bis vor wenigen Jahrzehnten in keinem jugendlichen Bücherschrank fehlen durfte: Die „Sagen des klassischen Altertums“.

Heute gehört das liebevoll sanierte Schloss der Gemeinde und ist das kulturelle Herz des Ortes: Konzerte und Ausstellungen, Wochen- und Weihnachtsmarkt finden im Schloss statt und heiraten kann man hier auch. Die Zeiten, in denen Gomaringen wie 1824 als „ärmste und kinderreichste Gemeinde“ galt, sind vorbei.