Aus der Luft und zu Fuß (30)

Hemmendorf

16.05.2018

Von Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Hemmendorf

Seit Mitte des 13. Jahrhunderts gehörte das Dorf am Fuße des Rammerts im Krebsbachtal dem souveränen Orden des Heiligen Johannes vom Spital zu Jerusalem. 1258 wird die Niederlassung der Johanniter, die sogenannte Kommende, zum ersten Mal erwähnt: In dieser Zeit expandierte der Orden beträchtlich und kaufte zahlreiche Liegenschaften, um Filialhäuser und Kommenden zu errichten.

Hemmendorf gehörte zuvor dem Kloster Hirsau, dem die Johanniter den Besitz abkauften, und war vermutlich im frühen Mittelalter bereits besiedelt. 1100 wird der Ortsname zum ersten Mal erwähnt: Einer der Ortsherren, Hug von Hemmendorf, unternimmt in diesem Jahr eine Reise nach Jerusalem. 1281 kam der erste Komtur, ein adliger Verwalter des Ordensbesitzes, nach Hemmendorf. Seitdem prägte die Johanniterkommende das dörfliche Leben der Gemeinde, denn sie besaß nicht nur das Dorf mit allen Rechten, sondern auch die Gerichtsbarkeit über Leben und Tod.

Die Johanniter waren ursprünglich eine Laienbruderschaft, die in Jerusalem Arme versorgte und Kranke pflegte. 1155 wurden sie vom Papst zum zweiten kämpferischen Ritterorden erhoben. Ritterorden entstanden zur Zeit der Kreuzzüge: Nach dem ersten Kreuzzug 1095 gründeten angeblich neun Ritter, alles tiefreligiöse provenzalische Adlige, den Orden der Tempelritter, der eine Art Schutzmiliz für Reisende nach Jerusalem bilden sollte. In den Tempelrittern schmolzen Mönch und Ritter zu einer Person zusammen. Der Orden gelangte schnell zu Ansehen und Reichtum und wurde vom Vatikan mit einer ganzen Reihe von Privilegien ausgestattet: Allein dem Papst unterstellt, brauchten die Tempelritter keine Abgaben zu zahlen und durften Geld verleihen. Aus einer militärischen Schutztruppe für Jerusalempilger wurden in der Folgezeit die Bankiers des Vorderen Orients und der europäischen Königshäuser.

1291 fiel mit der Stadt Akkon die letzte Bastion der Christenheit im Heiligen Land, die Kreuzfahrer wurden vertrieben. Damit hatten die Tempelritter, zu denen mittlerweile auch die Johanniter gehörten, ihre Funktion als kämpfende Schutztruppe verloren. Ohne eigentliche Aufgabe, aber unermesslich reich, sah man in ihnen eine Gefahr für die weltlichen Herrscher und begegnete ihnen zunehmend mit Misstrauen. Der Orden wurde 1312 aufgelöst und die Templer überall gefangen genommen und gefoltert. 1314 starb der Großmeister Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen. Die Güter der Templer wurden an die Johanniter übergeben, die damit ihre wirtschaftliche Basis weiter ausbauen konnten. Zu den Aufgaben des straff geführten Ordens gehörte neben seinen militärischen Pflichten die Verwaltung der Liegenschaften durch Kommenden, wie es in Hemmendorf der Fall war.

In der Hemmendorfer Kirche, die im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts erbaut wurde, erinnert ein großes Epitaph an den berühmten Hemmendorfer Johanniter, den Komtur Augustin Freiherr von Moersberg und Beffort, der 1605 in Hemmendorf gestorben ist. Er führte ein aufregendes Leben. Er reiste in zahlreiche Länder, auf Sizilien bestieg er den Ätna und in London traf er den berühmten Piraten Sir Francis Drake zum Abendessen. Seinen Lebensabend verbrachte er in Hemmendorf und widmete sich der Aufzeichnung all seiner Abenteuer.

1805 nahm König Friedrich von Württemberg das Territorium des Ritterordens in seinen Besitz. 1807 gehörte Hemmendorf zum Oberamt Rottenburg, 1972 wurde das Dorf nach Rottenburg eingemeindet. Mittlerweile sind die Bauten des zur Komturei gehörenden landwirtschaftlichen Gutes verschwunden, das dreiflügelige Johanniterschloss aus dem 18. Jahrhundert dient heute als Schule und Pfarramt. Nur wenig erinnert noch an den Ritterorden, der früher das ganze Dorf beherrschte. Andrea Bachmann

/ Bilder: Erich Sommer

Hemmendorf