Fernblicke mit Großstadtflair und großbürgerlichen Häusern

Hinaus ins Grüne: Unerwartete Schönheiten und Erinnerungen an die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieg

Auf dieser ganz besonderen Ferienwanderung entdecken wir viele Schönheiten und Highlights im beliebten Stuttgarter Westen.

22.08.2018

Von Arndt Spieth

In der Mörikestraße stehen großbürgerliche Stadthäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

In der Mörikestraße stehen großbürgerliche Stadthäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Startpunkt ist die Stuttgarter S-Bahnhaltestelle Feuersee. Inmitten des künstlich angelegten Löschweihers thront die im 19. Jahrhundert im Stil der französischen Hochgotik erbaute Johanneskirche. Im 2. Weltkrieg schwer getroffen steht sie seither ohne Turmspitze da, und ähnelt so ihren französischen Vorbildern noch mehr.

In Verlängerung des Chores verläuft die Hermannstraße, der wir nun bis in die Reinsburgstraße folgen. Dort halten wir uns links und wandern in der Silberburgstraße um den wilhelminischen Prachtbau der Stuttgarter Versicherung rechts herum. Dann folgen wir nach einer Grünanlage, in der sich früher die legendäre Sommergaststätte Silberburg befand, der Mörikestraße erst leicht bergab, dann wieder bergauf. Hier stehen noch schöne großbürgerliche Stadthäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wie sie vor den Bombenangriffen im 2. Weltkrieg an vielen Stellen in Stuttgart zu sehen waren. Auf der rechten Seite erscheint bald das am bronzenen Ritter mit Lanze erkennbare Städtische Lapidarium. Hier wurden in einem schönen kleinen Park, der mit den steinernen Wandelgängen von 1909 zu der danebenliegenden Villa gehörte, aus ganz Stuttgart alte Brunnen, Wappensteine, Skulpturen, Denkmäler und Teile von wichtigen Gebäuden zusammengetragen. Es ist bis Mitte September Mittwoch, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr zu besichtigen. Der Eintritt ist frei und ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall.

Danach gehen wir die Straße kurz weiter und steigen dann die Willy-Reichert-Staffel rechts bergauf bis zur Humboldtstraße. Hier folgen wir dem Weinbergweg rechts in einem Bogen durch den Weinberg hoch bis zum beliebten Biergarten „Tschechen & Söhne“ auf der Karlshöhe. Die Panoramaterrasse bietet einen faszinierenden Blick auf den Stuttgarter Süden und die umliegenden Höhenzüge mit dem Fernsehturm. Die 342 Meter hohe Karlshöhe ragt wie eine grüne Insel aus dem Häusermeer der Großstadt und war schon früh ein beliebter Wohnort für Betuchte, weshalb man ihr bald den Spitznamen „Millionärshügel“ verpasste. Auch heute sie ist noch ein faszinierender Ort in der Landeshauptstadt.

Anschließend halten wir uns oben im kleinen Höhenpark links, wandern um einen alten Steinbruch mit Spielplatz herum. An einem großen alten Gartenhaus mit Holzzaun gehen wir in einem Bogen rechts herum und kommen dann über den Treppenweg in gleicher Richtung hinunter in die Hasenbergsteige. Wir gehen dort nach links hoch, queren die parkähnliche Straße und folgen der Hasenbergstraße mit weiteren schönen alten Villen bergauf. Weiter oben bietet sich von der Plattform auf Höhe des Wasserwerks eine herrliche Sicht auf das dicht bebaute Häusermeer des Stuttgarter Westens. Nach circa 50 Metern weiterem Aufstieg führt auf der linken Seite der aussichtsreiche Blaue Weg (Friedrich-Wertz-Weg) oberhalb Heslachs durch ein altes Weinberggebiet, das schon lange als Gartenland genutzt wird. Trotz üppigem Pflanzenbewuchs haben wir immer wieder schöne Ausblicke auf Heslach und den Fernsehturm.

Am Waldrand unterhalb des Wegs steht noch der alte Heslacher Bahnhof. Wir gehen den Blauen Weg 120 Meter weiter zur schluchtenreichen „Heslacher Wand“, folgen dann an der Waldkreuzung dem Weg schräg rechts hoch zur breiten Bürgerallee. Oben biegen wir links ein und gehen bis zum 1839 errichteten Sophienbrunnen. Ursprünglich waren die Hasenbergsteige und die Bürgerallee ein wichtiger Verbindungsweg Richtung Westen und die erschöpften Pferde mussten nach dem steilen Aufstieg eine Möglichkeit zum Trinken bekommen. Daher dieser Brunnen. Später war diese Bürgerallee ein beliebter Weg, um sonntags mit Kutschen und Pferden oder zu Fuß in den Rot- und Schwarzwildpark mit seinen Seen zu gelangen.

Oberhalb des Brunnens führt uns ein Pfad zur stark befahrenen Kreuzung Rotenwald- / Geißeichstraße hinauf. Auf der anderen Seite des Fußgängerüberwegs gelangen wir über Treppenstufen direkt auf den Weg nach links zum Birkenkopf, der sich wie eine Spirale auf den Gipfel hochwindet. Der Birkenkopf war vor dem Krieg um die 477 Meter hoch und wurde nach Kriegsende mit dem Trümmerschutt der durch 56 Bombenangriffe weitgehend zerstörten Stuttgarter Innenstadt auf 511 Meter Höhe aufgefüllt. Auf der Kuppe wurde neben den freiliegenden Gesteinstrümmern ein weithin sichtbares Kreuz aufgestellt. Vielleicht ohne es zu wissen, haben die Stadtväter mit der Auffüllung ein eindrucksvolles Mahnmal gegen Krieg und Gewalt und zugleich einen einzigartigen Aussichtsberg geschaffen.

Von dem im Volksmund als „Monte Scherbellino“ bekannten Berg hat man einen großartigen Ausblick auf die Stadt, die Schwäbische Alb und den ganzen mittleren Neckarraum. Auf dem Rückweg quert man die Rotenwaldstraße am besten wieder an der gleichen Stelle wie zuvor und geht dann ein kurzes Stück an der Straße entlang nach links, bis uns rechts der lauschige Jägerhausweg zur Hasenbergsteige führt. Dabei passieren wir am Hasenberggipfel den Turmstumpf des bis zu den Bombenangriffen 1944 hier stehenden Aussichtsturmes. Durch die Hasenbergsteige geht es nun stetig bergab, vorbei an den monumentalen Metallkunstwerken des bekannten Stuttgarter Künstlers Otto Herbert Hajek. Auf der linken Seite (Nr. 60) steht das kleine Alexanderhäusle. Das Gartenhaus aus dem 18. Jahrhundert ist das älteste Gebäude am Hasenberg.

Etwas unterhalb biegen wir links in die Osianderstraße ein. Vor der Villa Hascher, die um 1910 im Stil einer italienischen Renaissancevilla gebaut wurden, steigen wir bei Haus Nr. 16 die Treppenstufen rechts in die Röckenwiesenstraße hinunter. Dort halten wir uns links und spazieren die Straße vor bis zur Reinsburgstraße. Wir biegen in diese nach links ein und queren sie. Auf der rechten Seite kommen wir durch die Obere Bismarckstraße mit ihren alten Stadthäusern hinunter zum Leipziger Platz mit der vielbefahrenen Rotenwaldstraße. Der Leipziger Platz ist einer der wenigen kleinen Parks im dicht bebauten Stuttgarter Westen.

Man quert die Straße und wandert links an der griechisch-orthodoxen Kirche, der aus Ruinensteinen erbauten Paulus-Notkirche aus der frühen Nachkriegszeit, vorbei in die Bismarckstraße. Diese ruhige Allee mit ihren alten glanzvollen Stadthäusern aus der Zeit um 1900 zählt heute zu den schönsten Straßen im Stuttgarter Westen. An der Kreuzung mit der Seyfferstraße sehen wir links den nüchternen Bau der Pauluskirche aus den 1950er-Jahren, der die im Krieg beschädigte alte Kirche ersetzt. Wir gehen weiter und biegen am großstädtischen Bismarckplatz mit seinen vielen Lokalen und der Elisabethenkirche nach rechts in die quirlige Schwabstraße ein. Sie führt uns direkt zur S-Bahn-Haltestelle „Schwabstraße“. Von dort können wir wieder zum Ausgangspunkt oder zum Hauptbahnhof zurückfahren. Wer möchte, kann auch über die Vogelsang- und Gutenbergstraße zum Feuersee zurückwandern. Arndt Spieth

Gehzeit: 2,5 Stunden

Länge: 9,3 Kilometer

Höhenunterschied: 210 Meter

Einkehrmöglichkeiten:

Biergarten Karlshöhe

Rote Kapelle am Feuersee

Lokale am Eugensplatz

ÖPNV: alle S-Bahnen im VVS Start: S-Haltestelle Feuersee, Ende: S-Haltestelle Schwabstraße

Arndt Spieth ist Autor des Stadtwanderführers Stuttgart, (Theiss), 6. Auflage.

Der Biergarten auf der Karlshöhe bietet einen faszinierenden Blick auf den Stuttgarter Süden und die umliegenden Höhenzüge.Bilder: Spieth

Der Biergarten auf der Karlshöhe bietet einen faszinierenden Blick auf den Stuttgarter Süden und die umliegenden Höhenzüge.Bilder: Spieth

Inmitten des künstlich angelegten Löschweihers thront die im 19. Jahrhundert im Stil der französischen Hochgotik erbaute Johanneskirche. Im 2. Weltkrieg schwer getroffen steht sie seither ohne Turmspitze da, und ähnelt so ihren französischen Vorbildern noch mehr.

Inmitten des künstlich angelegten Löschweihers thront die im 19. Jahrhundert im Stil der französischen Hochgotik erbaute Johanneskirche. Im 2. Weltkrieg schwer getroffen steht sie seither ohne Turmspitze da, und ähnelt so ihren französischen Vorbildern noch mehr.

Der Birkenkopf wurde nach Kriegsende mit dem Trümmerschutt der weitgehend zerstörten Stuttgarter Innenstadt auf 511 Meter Höhe aufgefüllt. Auf der Kuppe wurde neben den freiliegenden Gesteinstrümmern ein weithin sichtbares Kreuz aufgestellt.

Der Birkenkopf wurde nach Kriegsende mit dem Trümmerschutt der weitgehend zerstörten Stuttgarter Innenstadt auf 511 Meter Höhe aufgefüllt. Auf der Kuppe wurde neben den freiliegenden Gesteinstrümmern ein weithin sichtbares Kreuz aufgestellt.