Aus der Luft und zu Fuß (65)

Wankheim

13.02.2019

Von Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Wankheim

Im Mittelalter gehörte Wankheim dem Kloster Bebenhausen, wurde 1482 an den Ritter Georg von Ehingen verkauft und kam 1760 an die Freiherren von Saint-André. Die erlaubten im Jahr 1774 David Dessauer, sich mit seiner Familie in Wankheim niederzulassen. Natürlich musste der Jude aus Nordstetten diese Großzügigkeit mit einem angemessenen Schutzgeld vergelten. In den Folgejahren siedelten sich weitere jüdische Familien in Wankheim an. Sie handelten mit Trödel, Vieh und Hopfenstandgen und betrieben etwas Landwirtschaft. Bereits im Jahr 1774 pachteten sie für drei bis fünf Gulden im Jahr ein Grundstück und legten darauf einen Friedhof an, der noch heute existiert. Das älteste erhaltene Grab ist von 1788.

Im 19. Jahrhundert wuchs die jüdische Gemeinde. 1844 lebten in 25 Haushalten 118 Menschen. Es gab eine Synagoge und eine Mikwe und von 1827 bis 1849 sogar eine Konfessionsschule, der Lehrer war gleichzeitig Vorbeter und Schlachter.

Der Exodus begann in den 1860er-Jahren. Immer mehr Familien zogen nach Tübingen oder Reutlingen, wo neue jüdische Gemeinden entstanden. 1892 lebten in Wankheim gar keine Juden mehr. Nur ihre Toten wurden dort noch bestattet. 1843 wollte die jüdische Gemeinde Wankheim das Friedhofsgelände käuflich erwerben. Der Gemeinderat forderte einen solch exorbitanten Preis, dass sich die Verhandlungen über Jahre hinzogen. Der letzte Grabstein stammt von 1941. Nach dem Krieg ließ der Tübinger Viktor Marx, der den Holocaust überlebt hatte, eine Gedenkstein für die 14 während des Nationalsozialismus ermordeten Mitglieder der jüdischen Gemeinde Tübingen errichten.

In der Geschichte der jüdischen Gemeinden spielt auch die evangelische Kirche in Wankheim eine beachtliche Rolle: Hier trat 1935 der Pfarrer Richard Gölz seinen Dienst an. Der musikbegeisterte Theologe kam direkt aus dem Evangelischen Stift in Tübingen, wo er als Musikdirektor den Grundstein für die wichtige Rolle legte, die die Kirchenmusik mit ihren Kantatengottesdiensten und Motetten noch heute in Tübingen spielt.

Die Versetzung nach Wankheim war eine Strafexpedition für den aufmüpfigen Pfarrer, der sich nicht nur der Bekennenden Kirche anschloss, sondern mit Messfeiern, Marientagen und Engelfesten einen emotionalen, sinnlichen Ausgleich zu den predigtlastigen evangelischen Gottesdiensten suchte. Die Kirchenleitung in Stuttgart war nicht amüsiert, brummte Gölz so viele Vertretungen auf, dass er kaum noch Zeit für die eigene Gemeinde hatte und strich ihn monatelang von der Gehaltsliste.

Das hinderte den unkonventionellen Theologen nicht daran, sich aktiv für seine jüdischen Mitmenschen einzusetzen. Sein Pfarrhaus in Wankheim war Teil eines ganzen Netzes von Pfarrhäusern, die flüchtende Juden versteckten und durch ganz Deutschland „weiterreichten“. 1944 wurde Gölz deswegen denunziert und verhaftet, die Zeit bis zum Ende des Krieges musste er im KZ Welzheim verbringen. In dieser Zeit vertrat ihn seine junge Vikarin Brigitte Csaki, die sich 1936 in ihrer siebenbürgischen Heimat das Recht erkämpft hatte, Theologie studieren zu dürfen. Eigentlich hätte der Tübinger Dekan lieber einen Mann auf der Kanzel gesehen – aber kein Emeritus war bereit, an einem Sonntagmorgen im Winter den steilen Weg auf die Härten auf sich zu nehmen.

Nach dem Krieg nahm Familie Gölz die Mutter von Brigitte Csaki bei sich auf. Grete Csaki-Copony war Malerin und Lyrikerin. Zum Dank für die Gastfreundschaft entwarf sie anlässlich der Renovierung der Wankheimer Kirche 1957 deren neue Fenster. Andrea Bachmann /

Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
13.02.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 13.02.2019, 01:00 Uhr

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