Tieftöner und Tausendsassa

Interview mit dem Ulmer Bassisten Hellmut Hattler

06.10.2021

Ausnahmebassist Hellmut Hattler. Bild: Jürgen Spieß

Ausnahmebassist Hellmut Hattler. Bild: Jürgen Spieß

Seit den 1970er-Jahren ist Hellmut Hattler mit ganz unterschiedlichen Formationen unterwegs: Am 14. Oktober kommt der Ulmer Ausnahmebassist mit seiner gleichnamigen Band ins Reutlinger franz.K und präsentiert einen Mix aus hitzigen Jazz-Grooves und flockig funkigen Soul-Krachern. Der TAGBLATT ANZEIGER sprach mit dem Echo-Preisträger Hellmut Hattler über seine Musik, seine überwundene schwere Krebserkrankung und was ihm im Leben wichtig ist.

Auf Ihrem neuen Album ‚Sundae‘ ist auch Ihr alter Weggefährte Joo Kraus vertreten. Wird er in Reutlingen dabei sein?

Nein, Hattler live ist eine seit 2006 stabile Besetzung, bestehend aus Fola Dada, Torsten de Winkel, Oli Rubow und mir. Auf meinen Studioalben spielen schon immer auch zusätzliche Musiker mit. Die alle mit auf die Konzerte zu nehmen, wäre Quatsch, da das Konzept der Band ja seit Anbeginn war, auch zusätzliche Sounds per Rechner einzuspielen. Hattler ist sozusagen eine Synthese aus den Erfahrungen meiner früheren Bandkonzepte, die Idee war, Hormonelles und Digitales harmonisch miteinander zu verbinden.

Neben Ihren drei Bands Hattler, Siyou’n’Hell und Kraan betreiben Sie auch ein eigenes Label. Ist das in Zeiten von Streaming und Digitalisierung nicht sehr aufwändig?

Das erste Hattler-Album wurde im Jahr 2000 noch von einem Majorlabel veröffentlicht, aber es zeichnete sich schon damals ab, dass sich auf dem Musikmarkt vieles verändert und ich nicht an den alten Strukturen festhalten wollte. Also gründete ich mit einem Partner zusammen das Label Bassball Recordings, um trotz schwindender Tonträgerumsätze noch gut über die Runden zu kommen. Dazu braucht man einen Vertrieb, der sich nicht nur um die Verteilung von CDs und LPs, sondern auch um das digitale Marketing kümmert. Insofern bleibt da gar nicht so viel administrative Arbeit beim Künstler hängen und es bleibt genügend Zeit, um sich neben den Auftritten auch ums Komponieren, Texten und Produzieren zu kümmern.

Wenn Sie nochmal jung wären, würden Sie sich heute wieder für den Beruf Musiker entscheiden und warum?

Eine sehr gute Frage, die ich mir in letzter Zeit auch oft gestellt habe. Dazu kann ich nur sagen: Wenn es nicht bald einen gerechteren Verteilungsschlüssel für gestreamte Musik gibt, lohnt es sich für kreative Musiker finanziell definitiv nicht mehr. Genau das sage ich auch jungen Musiktalenten. Aber es gibt natürlich noch die ideelle Seite des Musikmachens – und die lohnt sich immer.

Inwieweit hat Ihnen die Musik geholfen, Ihre schwere Krankheit zu überwinden?

Ich denke, Musik hilft immer, mentale Stärken zu erzeugen. Zwei gleichzeitig auftretende Leukämien aber nur mit Musik therapieren zu wollen, wäre mehr als blauäugig. Die Tatsache, dass ich in der therapeutischen Isolation meinen Bass spielen und komponieren konnte, hat mich mental sehr aufgebaut und heute, vier Jahre später, sagt mir die Ärzteschaft, dass sie niemanden kennen, der ein derartiges Krankheitsbild so gut weggesteckt hat. Keine Ahnung, ob das so stimmt, aber ich bin mir sicher, dass Musik machen sehr geholfen hat.

Gibt es Zeiten in Ihrem Musikerleben, an die Sie mit Wehmut zurückdenken?

In letzter Zeit mehren sich ja die Rückblicke, weil meine erste Band Kraan nun seit 50 Jahren besteht. Da kriegt man schon manchmal feuchte Augen, wenn einem gestandene Männer berichten, dass die Musik, die ich seither veröffentliche, inzwischen der Soundtrack eines ganzen Lebens ist. Mir ist auf jeden Fall klar, dass die Anfangszeit der Band mit meine prägendste Phase war, da wir damals Musik machten, die sich auf keine klaren Traditionen beruft. Auf dieser Basis entsteht bis heute so gut wie alles, was ich komponiere und spiele. Aus diesem Grund bin ich auch kein Gebrauchsmusiker geworden, was mich auch nicht gerade mit Wehmut erfüllt.

Wie kam es dazu, dass Sie sich vor über 50 Jahren für die Bassgitarre als Instrument entschieden haben?

Das lag wohl daran, dass wir bei einer Band drei Gitarristen waren und da alle auch Bass spielen konnten, wollten wir mit den Instrumenten rotieren, was sich dann aber doch als zu umständlich herausgestellt hat. Ich war eindeutig der schlechteste Gitarrist, aber hatte ein ganz gutes Talent als Bassist und so war schnell klar, wie es fortan laufen sollte.

Zurück in die Gegenwart: Wie war es für Sie, während der Coronakrise auf Auftritte verzichten zu müssen?

Finanziell lausig, aber musikalisch super, weil im ersten Lockdown ganz wider Erwarten das neue Kraan-Album ‚Sandglass‘ im Homeoffice-Modus entstand. Im zweiten Lockdown produzierte ich dann das neue Hattler-Album. Aber klar, die Musiker, die in erster Linie live unterwegs sind, litten da deutlich mehr als ich.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Was ist Ihnen neben der Musik wichtig im Leben?

Sex and drugs wäre vermutlich die richtige Antwort gewesen, aber vier meiner sechs Kinder sind noch in Ausbildung und da muss ich schon ziemlich klar strukturiert daherkommen um dem Titel ‚Bester Papa der Welt‘ einigermaßen gerecht zu werden.

Die Fragen stellte Jürgen Spieß

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Erstellt:
06.10.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 06.10.2021, 01:00 Uhr

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