Wie bitte?

Jeder Fünfte ist von Schwerhörigkeit bedroht

Heute ist „Welttag des Hörens“. Eine gute Gelegenheit, sich mit dem Thema „Ohren“ zu befassen. Der TAGBLATT ANZEIGER sprach mit Professor Hubert Löwenheim, dem Leiter der Tübinger Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik.

03.03.2021

Jeder Fünfte ist von Schwerhörigkeit bedroht

Erschreckendes gleich zu Beginn des Gesprächs mit dem Ärztlichen Direktor der HNO-Klinik: „Jeder Fünfte ist von Schwerhörigkeit bedroht“, erklärt Prof. Löwenheim. „Schwerhörigkeit ist die häufigste Sinneserkrankung, die wir haben. Das wird leider sehr unterschätzt.“ In Baden-Württemberg gibt es aktuell rund 1,6 Millionen Schwerhörige. Tendenz: steigend. Bis zum Jahr 2060 wird sich deren Anzahl verdoppeln.

Das wirklich Beunruhigende dabei aber ist: Nur 20 Prozent der Betroffenen benutzen Hörgeräte. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Die Erkrankten befürchten vor allem eine Stigmatisierung als Schwerhöriger. Oder sie haben Probleme mit dem Hörgerät, vor allem mit Störgeräuschen, etwa in Gruppensituationen. Dabei leidet durch den Hörverlust nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen und sie sind in Gefahr, sich sozial zu isolieren. Schwerhörigkeit kann noch weitere schwerwiegende Folgen haben: Laut Studien verfünffacht sich bei einer unbehandelten hochgradigen Schwerhörigkeit das Risiko, an Demenz zu erkranken.

Dabei könnte vielen der hochgradig Schwerhörigen und auch Gehörlosen mit einem Cochlea-Implantat geholfen werden. Hubert Löwenheim schätzt, dass es rund „eine Million Kandidaten für das Cochlea-Implantat“ gebe. Ein Implantat, das nicht ganz neu ist, sich aber in den letzten zwei Jahrzehnten quasi zum Standard-Verfahren entwickelt hat. Für diese Implantate gibt es im Grunde keine Altersbeschränkung. „Aber“, erklärt Löwenheim, „kognitiver Verlust ist nicht reparierbar.“

Angewendet werden kann das Cochlea-Implantat auch bei gehörlos Geborenen. Und da verbirgt sich in der Statistik wirklich Beunruhigendes: Eines von 500 Neugeborenen kommt gehörlos zur Welt. Deren Gehörlosigkeit sollte am besten in den ersten beiden Lebensjahren erkannt werden, weil es beim Ausbilden der Gehörbahn ein kritisches Zeitfenster gibt. „Wir implantieren natürlich auch bei Fünfjährigen“, erklärt der Leiter der Tübinger Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik. „Aber irgendwann ist es zu spät.“ Bei einem Erwachsenen, dessen Hörbahn ausgebildet ist und der schon mal gehört hat, gibt es da kein (zeitliches) Problem.

In jedem Fall rät Löwenheim unbedingt dazu, sich untersuchen zu lassen, wenn man merkt, dass man ein Problem mit dem Hören in Gruppensituationen hat. Viele Ältere würden das leider nicht tun, weil sie meinten „Das ist halt so, das gehört zum Alter dazu“. Vor allem das stark erhöhte Risiko, durch Schwerhörigkeit auch dement zu werden, müsse man keineswegs einfach so hinnehmen, meint der Ärztliche Direktor. Angelika Brieschke / Archivbild: Ulrich Metz

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Erstellt:
03.03.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 10sec
zuletzt aktualisiert: 03.03.2021, 01:00 Uhr

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