Jugendliche vertonen ihren Pandemie-Alltag auf der CD „Tschüss, Corona“

Ohne Zweifel ist der Bogen, den dieser CD-Sampler der Reutlinger Kulturwerkstatt schlägt, ein besonders emotionaler, nachdenklicher, aber auch zuversichtlicher. Alle neun Songs beschäftigen sich thematisch mit der Corona-Pandemie, mal verzweifelt, mal voller Hoffnung auf das Danach. Mit dabei sind 45 behinderte und nicht behinderte Jugendliche, die musikalisch ihre Stimmen erheben und erzählen, was ihnen wichtig ist, auf was sie und ihre Altersgenossen aktuell verzichten müssen und was Corona mit ihnen gemacht hat: „Heute ist Montag und Corona ist leider immer noch da“, heißt es etwa in dem Song „Lichtstreif am Horizont“ von der Band Home, sweet Home: „Mittlerweile ist Corona richtig nervig. Ich vermisse alle so sehr. Wir sind eine getrennte Gruppe, aber eigentlich eine Band. Ich dachte früher, die Welt ist verrückt, aber genau die will ich wieder zurück“.

Was das bedeutet? Endlich wieder ins Freibad gehen, zusammen musizieren und Sport treiben, Eis essen, andere Leute kennenlernen, ins Kino und zu Konzerten gehen oder zum Skatepark fahren und Spaß haben: Das sind aber nur einige der Dinge, die Jugendliche seit über einem Jahr vermissen. In den Liedtexten kommt ebenfalls zum Ausdruck, wie viel den Jugendlichen in einer von Entbehrung geprägten Zeit an Werten, Erfahrungen und Einflüssen verloren gegangen sind. Trotz aller Einschränkungen, mit denen gerade auch Kinder und Jugendliche klar kommen müssen, versuchen viele positiv zu bleiben und nach vorne zu blicken. So wie die Band Brennwert mit ihrem Song „Tschüss, Corona“. Darin heißt es: „ Es ist echt hart, es fällt uns schwer, aber das muss man jetzt versteh’n – wird der Abstand eingehalten, kann es ja bald weitergeh’n“.

Ob Rock, Pop oder HipHop, bei dem Album geht es, wie der Untertitel „Songs aus der Coronazeit“ schon verdeutlicht, um die Aussage hinter der Musik, um die Spuren, die Corona hinterlassen hat und nicht zuletzt „um einen musikalischen Querschnitt unserer Arbeit“, so Biggi Neugebauer. „Uns war wichtig, alle Beteiligten bestmöglich und ihren technischen Möglichkeiten entsprechend einzubeziehen“, erzählt Benny Strohmaier, der das Projekt seit Anfang Februar musikalisch betreut. So wurden auch Musikerinnen, die in ihren Bands eigentlich nichts mit Gesang am Hut hatten, ermutigt, gesprochene Statements oder kleinere Gesangsparts beizutragen. „Denn alle sollten zu hören sein und sich in den Songs wiederfinden“.

Alles fing damit an, dass seit Jahresbeginn in zahlreichen Videocalls zwischen Benny und den Kindern Songtexte und Ideen für eine Vertonung entstanden sind. Mit diesem Material erstellte der Kulturwerkstatt-Mitarbeiter in seinem Heimstudio Vorproduktionen, mit deren Hilfe die Kinder und Jugendlichen zuhause via Smartphone ihre Beiträge einsingen konnten. Auch die Instrumentenparts wurden von Benny Strohmaier (Orgel), dessen Bruder Bernd (Gitarre) und den verschiedenen Bandmitgliedern zu Hause eingespielt. Da das Ganze so viel Spaß machte, entstand sogar eine bandübergreifende „Corona Allstars“-Formation und im Rahmen von „lockdownstoryrt“, einem Videoprojekt der Stadt Reutlingen, erstellte die ebenfalls auf der CD vertretene Band Rockboys zu ihrem Song „Alle müssen Masken tragen“ ein bewegendes Musikvideo.

Unter dem Strich ist das ein gelungenes Beispiel dafür, dass sich die Jugendlichen der Reutlinger Kulturwerkstatt von dem Virus nicht unterkriegen lassen. Denn das Album bringt nicht nur zum Ausdruck, wie die jungen Bandmitglieder mit der Pandemie umgehen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Es lässt endlich auch einen Lichtstreif am Horizont erkennen. Jürgen Spieß

Den CD-Sampler „Tschüss, Corona“ – Hallo Sampler!“ gibt es als kostenlose Downloadversion unter www.kulturwerkstatt.de/tschuess-corona-hallo-sampler/.

Den Videoclip der Rockboys kann man unter www.kulturwerkstatt.de/videoclip-der-rockboys-alle-tragen-masken/ anschauen.

Die Sampler-CD wird durch die Stadt Reutlingen, das Amt für Schulen, Jugend und Sport im Rahmen von Jugend-Art mit rund 1 500 Euro gefördert.