Aus der Luft und zu Fuß (36)

Kilchberg

04.07.2018

Von Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Kilchberg

Seit 1971 ist Kilchberg ein Teilort von Tübingen. Seit 1588 gehört Kilchberg zu Württemberg. Aber fast bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sind es Ritter und Junker, die die Geschicke der Bevölkerung bestimmen: Im 13. Jahrhundert besaß die niederadlige Familie Lescher Güter in Kilchberg. Auf sie geht das wunderschöne Kilchberger Wappen mit Sternen und Halbmond zurück. Sterne vom Himmel regnete es für die Dienstleute der Tübinger Pfalzgrafen hingegen nicht: Mit dem Niedergang der Pfalzgrafen ging es auch den Herren von Kilchberg immer schlechter und Ende des 14. Jahrhunderts legte Konrad von Kilchberg sich in mondlosen Nächten an den Straßenrand und lauerte vorbeiziehenden Reisen auf.

In den Augen des württembergischen Grafen Eberhard III war Straßenraub allerdings keine besonders ritterliche Tätigkeit und er sperrte den Raubritter in den Kerker. Der zahlte daraufhin einen Teil seines Besitzes als Lösegeld, kam wieder frei und erhielt seinen Besitz als Lehen zurück. Die Resozialisation war geglückt, Konrad Lescher heiratete eine Dame aus der Familie von Ehingen, die die neuen Herren von Kilchberg wurden.

Der berühmteste unter ihnen, der weitgereiste Georg von Ehingen, der kein Raub-, sondern ein Kreuzritter war und als Diplomat des Grafen Eberhard im Barte dessen Ehe mit der schönen Barbara von Mantua arrangierte, verpasste dem Schloss sein heutiges Aussehen: Von der einstigen Ringmauerburg ist nur der ehemalige Burgfried erhalten geblieben. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts kommt die Familie Closen von Niederbayern auf den Bläsiberg und heiratet eine von Ehingen. Richtig glücklich werden sie mit ihrem Besitz nicht gewesen sein: Der 30-jährige Krieg setzt ihnen so sehr zu, dass der Familie die Schulden noch viele Jahrzehnte später über den Kopf wachsen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts muss Georg Ludwig von Closen zehn Kinder versorgen und 1721 verkauft er Schloss Kilchberg für 450 000 Gulden an Karl Magnus Leutrum von Ertringen. Der in österreichischen Diensten stehende Generalfeldmarschall muss ein Mann feiner Lebensart gewesen sein: Er ließ einen barocken Lustgarten anlegen, der heute als Schlosspark mit Orangerie noch immer Eindruck macht.

Den Kilchbergern wird es ziemlich gleichgültig gewesen sein, wie die Familie gerade hieß, für die sie als Leibeigene Frondienste und Abgaben zu leisten hatten. Erst 1817 wird in Württemberg die Leibeigenschaft aufgehoben. Trotz dieser neu gewonnenen bürgerlichen Freiheit blieben sie den Herren von Kilchberg, die mittlerweile von Tessin heißen, verbunden: Das Schloss gab Arbeit und Brot.

Die Geschichte Kilchbergs reicht aber noch viel weiter als bis ins Mittelalter: 1968 entstand im Osten von Kilchberg ein Neubaugebiet. Ein flacher, relativ unscheinbarer Hügel erregte die Neugierde der Archäologen und das Denkmalamt organisierte eine Grabung, bei der man tatsächlich einen Grabhügel der Hallstattkultur mit einem Brandgrab aus dem 8. und einem Körpergrab aus dem 6. vorchristlichen Jahrhundert zutage förderte. Zwischen den Steinblöcken, mit denen das Körpergrab abgedeckt war, fanden sich Grabstelen mit primitiven Darstellungen des menschlichen Gesichts. Der Kranz aus mächtigen Steinblöcken, der den Grabhügel umgab, war noch intakt. Die Stelen sind vermutlich viel älter als das Grab und stammen aus der Jungsteinzeit. Damit gehören sie zu den ältesten Abbildungen eines menschlichen Gesichts in ganz Deutschland.

Das war natürlich ein sensationeller Fund, über den man kein Einfamilienhaus mehr bauen konnte und wollte. Der Landkreis Tübingen kaufte das Grundstück, mit einer privaten Stiftung finanzierte man das Kulturdenkmal inklusive der passenden Grünanlage. Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer