Ungewöhnliche Sounds
Kinga Glyk stellt ihr neues Album „Real Life“ vor
Sie ist erst 26, aber wenn Kinga Glyk mit ihrem viersaitigen E-Bass die Bühne betritt, versetzt sie das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes in Staunen. Es ist zuerst ihre Fähigkeit, ihrem Bass eine melodische Stimme zu verleihen, der die Konzerte der polnischen Jazzmusikerin zu etwas Besonderen macht.
Nicht nur was das Tempo angeht, kann die Frau fast jeden überholen. Mit einer Akkuratesse, die nicht nur verblüfft, sondern auch hochmusikalisch ist. Wie ernst es der gebürtigen Polin mit ihrer Musik ist, zeigt die leidenschaftliche Präzision, mit der sie sich ihrem instrumentalen Mix aus Blues, Fusion und Funkjazz hingibt. Dabei verzichtet die 26-jährige Bassistin bei ihren Konzerten auf jegliche Showeffekte, konzentriert sich auf die Erarbeitung differenzierter Tonspektren und ausgewogener Zusammenklänge. Und immer wieder präsentiert sie fantasievolle Melodieläufe, die über die Funktion eines Basssolos weit hinausgehen.
Die Musikerin aus der Nähe von Kattowitz spielte bereits als kleines Kind E-Bass und trat ab dem Alter von 12 Jahren mit Vater und Bruder in der Familienband Głyk P.I.K. Trio auf. Mit 18 Jahren nahm sie ihr erstes Album unter eigenem Namen auf und spielte mit einem Trio auf dem Stuttgarter Festival Jazzopen: „Ich wusste immer, dass ich Bass spielen wollte. Für mich ist es das beste Instrument der Welt!“, sagt die Polin.
Der Grundstein für ihre Karriere wurde schließlich im Internet und durch YouTube gelegt. Im Jahr 2016 veröffentlichte sie ein Cover von Eric Claptons „Tears in Heaven“ und die Sozialen Medien katapultieren ihre Musik über die Grenzen Polens hinaus in die Welt. Mehr als 20 Millionen Menschen klickten das Video allein auf Facebook an, „für mich war das der Wendepunkt und ich hatte plötzlich Kontakte zu Menschen nicht nur aus Polen, sondern aus Brasilien, Mexiko, den USA, England und Deutschland“, so Kinga Glyk.
Im Anschluss daran war sie fast ununterbrochen auf Tournee, spielte in kleinen Clubs, aber auch auf großen Festivals. Gleichzeitig arbeitete sie an ihrem dritten Album „Dream“, das 2017 auf dem Major-Label Warner Music veröffentlicht wurde und das sie mit einem internationalen Quartett einspielte. Inzwischen hat Głyk mit „Feelings“ ein weiteres Album veröffentlicht, ist mit ihrer Band durch ganz Europa getourt und teilte mit so illustren Größen wie dem Saxofonist Tim Garland, dem Keyboarder Brett Williams und dem Drummer Gregory Hutchinson die Bühne. Ihr fünftes Album „Real Life“ kommt am 24. Januar 2024 auf den Markt, wird aber nun schon am Freitag im franz.K live zu hören sein.
Wenn man der jungen Frau zuhört, wie sie ihren E-Bass streichelt, wie sie gleichsam mit ihrer Musik verschmilzt, kann man sich folgende bildliche Inszenierung gut vorstellen: Die Musik hat eine wundersame Oberfläche, sie lockt und reizt, sie lädt zum Verweilen und gleichsam zum Tanzen ein. Wer die Ohren etwas weiter öffnet, die Strukturen der Klänge tief eindringen lässt, der findet bei Kinga Glyk eine Menge ungewöhnlicher Sounds, die so filigran sind, dass man kaum glauben kann, dass diese unbändige Dringlichkeit den Fingern einer erst 26-Jährigen entstammt. So verdichten sich ihre Bass-Soli rasch zum jazzrockigen Klanggespinst, sorgen für Reibung, verfallen in einen Rhythmus, der Herzschlag ist und Hingabe zugleich.
Kinga Glyks Spiel schöpft nicht unbedingt alle Farben aus. Die Richtung aber stimmt bis hin zu ihren hochkomplizierten Takten, die sie bei einer Reihe von Arrangements zu bewältigen hat. Das ist zeitloser Fusionjazz – mit raffinierten, fast „old school“ anmutenden Bassläufen und doch ganz up-to-date. Jürgen Spieß
Kinga Glyk spielt am Freitag, 10. November, 20 Uhr, mit ihrem Trio im Reutlinger franz.K. Mitveranstalter ist der Jazzclub in der Mitte.