Der Kommentar

Menschen ohne Namen

14.10.2020

Von Angelika Brieschke

Angelika P. Brieschke möchte lieber ohne Bild in der Zeitung stehen

Angelika P. Brieschke möchte lieber ohne Bild in der Zeitung stehen

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? Es gibt immer mehr Menschen, die nur einen Großbuchstaben mit Punkt als Nachnamen haben – in den Medien zumindest. In der Landesschau aktuell am Montagabend zum Beispiel äußerten sich Sarah L. und Sebastian K. vor der Kamera zum Thema „Feiern in Stuttgart während der Corona-Pandemie“. Und auch in der Lokalzeitung begegnen einem immer mehr Leute mit erkennbarem Gesicht und ohne Nachnamen.

Sehr merkwürdig. Da ergibt ein diffuses (Daten-)Schutzbedürfnis gepaart mit neuzeitlichem Darstellungsdrang eine sehr krude Mischung: Man möchte zwar den eigenen (Nach-)Namen nicht öffentlich preisgeben, hat aber kein Problem damit, sein Gesicht öffentlich zu zeigen. Dabei weiß man doch aus gut informierten Social-Media-Kreisen, dass Google schon längst eine weltweite Bild-Personennamen-Konkordanz erstellt hat. Für was auch immer.

Aber vielleicht schwingt ja in dieser Namens-Ziererei eine tiefe Urangst mit, wie man sie auch aus unseren Märchen kennt: Rumpelstilzchen wusste genau, wieso es seinen Namen nicht verraten wollte.

In jedem Fall sollte man diesem Zeitphänomen unbedingt mal kulturwissenschaftlich-empirisch auf den Grund gehen. Das wäre ein Forschungsdesiderat meinerseits, denn ich aus der Babyboomer-Generation kann das Nachnamen-Bild-Phänomen überhaupt nicht nachempfinden. Meine Generation ziert sich eher beim Bild und fand es eine Zeitlang unglaublich schick, einen zusätzlichen Namen zwischen Vor- und Nachnamen geheimnisvoll anzudeuten – mit Großbuchstaben und Punkt. Alfred E. Neumann war einer der berühmtesten Vertreter dieser Mode.

Noch merkwürdiger aber finde ich die Menschen ohne Namen, die uns Briefe mit belehrend-bedrohlichem Inhalt in die Redaktion schicken. „Was“, frage ich mich, „erhoffen sie sich damit?“. Dass ich mit geneigtem Wohlwollen das anonyme Schreiben durchlese, die Argumentation schlüssig finde und übernehme und ab da den Standpunkt des Geisterschreibers in aller Ausführlichkeit in meinen nächsten Kommentaren engagiert vertrete? – Äh, nein. Eher nicht.

Ein Tipp für Leute, die ihr Anliegen in unserer Zeitung wiederfinden wollen: Wir veröffentlichen sehr gerne Leserbriefe von Menschen mit Vor- und Nachnamen. Sie müssen sich dafür nur an Persönlichkeits- und Urheberrechte halten.

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Erstellt:
14.10.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 14.10.2020, 01:00 Uhr

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