Ein Leben ohne Würde

Migration in Chile: Niedrige Löhne und diskriminierende Praktiken

Chile ist eines der am häufigsten gewählten Einwanderungsländer in Lateinamerika. Doch Migranten werden auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt häufig mit diskriminierenden Praktiken konfrontiert.

15.03.2023

Die Sozialwissenschaftlerin Macarena Bonhomme kritisiert die Ungleichbehandlung von Migranten in Chile und fordert, dass sie nicht zur Ware degradiert werden. Privatbilder

Die Sozialwissenschaftlerin Macarena Bonhomme kritisiert die Ungleichbehandlung von Migranten in Chile und fordert, dass sie nicht zur Ware degradiert werden. Privatbilder

2021 hatten rund 1, 5 Millionen Migranten ihren ständigen Aufenthalt in Chile. Neben Venezuela, Peru, Haiti und Kolumbien gehört auch Bolivien zu den fünf wichtigsten Ländern, aus denen die Einwanderer in Chile stammen. Mit 61 Prozent konzentriert sich die Mehrheit der ausländischen Bevölkerung in der Hauptstadt. Der restliche Anteil verteilt sich auf die Regionen Arica, Parinacota, Magallanes und Biobio.

Sorymar Arias ist Venezolanerin und zog 2018 auf der Suche nach einem besseren Leben für ihre Familie nach Chile. Vor allem auch wegen ihrer kleinen Tochter, die an Diabetes leidet. In Chile wurde die 48-Jährige dann mit der schwierigen Wohnsituation für Menschen mit Migrationshintergrund konfrontiert. „Die Vermieter verlangen viele Bedingungen, die die meisten von uns nicht erfüllen können, wie einen festen Arbeitsplatz oder eine Aufenthaltsgenehmigung“, stellt Arias fest. Da sie keine feste Arbeit hat, kann sie in Chile keine Wohnung mieten. „Ein chilenischer Freund mietet für uns“, erklärt sie.

Macarena Bonhomme beobachtet, dass die chilenische Wohnungspolitik jene Migranten, die keinen Arbeitsplatz oder kein Aufenthaltsvisum haben, dazu zwingt, in prekären, überfüllten und unhygienischen Verhältnissen zu leben. Zudem stellt die Migrationsexpertin von der Universität Diego Portales fest, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Chile von der einheimischen Bevölkerung oft als Bedrohung betrachtet werden. Denn die Chilenen fürchten, dass die Migranten ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen.

Sorymar Arias kritisiert die ungleichen Arbeitsbedingungen in Chile. „Menschen mit Migrationshintergrund werden häufiger ausgebeutet und schlechter bezahlt“, betont die Venezolanerin. „Ein Cousin von mir arbeitete früher bei einem Unternehmen. Wegen schlechter Praktiken, wie geringerer Bezahlung, beschloss er, sich selbständig zu machen und als Obsthändler zu arbeiten. Jetzt geht es ihm gut und er kann über seine Zeit und sein Geld selbst bestimmen.“

Bonhomme registriert auch eine unterschiedliche Behandlung der Migranten in Chile. „Wenn Europäer in mein Heimatland kommen, werden sie mit offenen Armen empfangen und schnell integriert, während Haitianer ausgeschlossen werden.“ Dieses Verhalten verweist ihrer Meinung nach darauf, dass die Chilenen auf der Basis ethnischer Faktoren zwischen erwünschten und unerwünschten Migranten unterscheiden.

Die Erfahrungen, die Sorymar Arias als Security-Mitarbeiterin in Chile gemacht hat, bestätigen diesen Eindruck. „Jedes Mal, wenn ein Laden ausgeraubt wird, wird ein Venezolaner beschuldigt.“ Bei älteren Menschen fühlt sie sich auch weniger willkommen: „Als ich in einer Bäckerei arbeitete, wollte ein älterer Mann nicht von mir bedient werden, weil ich Venezolanerin bin.“

Häufig wird von dem „Leistungsbeitrag“ gesprochen, den die Migranten im Ankunftsland erbringen würden. Das sieht Macarena Bonhomme eher kritisch, da Migranten dann nur wegen ihres Arbeitseinsatzes für das Land akzeptiert würden und vergessen wird, dass sie auch menschenwürdig leben wollen. „Wenn man über den Beitrag von Einwanderern spricht, verfällt man in eine kapitalistische Denkweise, die Menschen zu Waren macht, deren Wert nur auf ihrer Leistung beruht“, erklärt die Wissenschaftlerin. Bonhomme fordert, Migranten wertzuschätzen, weil es sich um Menschen handelt, die auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder in ein fremdes Land kommen. Vivian Viacava Galaz

Diesen Beitrag hat unsere Mitarbeiterin Vivian Viacava Galaz bei einem Besuch in ihrem Heimatland Chile recherchiert.

Sorymar Arias ist aus Venezuela nach Chile eingewandert. Auf dem Wohnungsmarkt und am Arbeitsplatz wird die Migrantin mit Diskriminierungen konfrontiert.

Sorymar Arias ist aus Venezuela nach Chile eingewandert. Auf dem Wohnungsmarkt und am Arbeitsplatz wird die Migrantin mit Diskriminierungen konfrontiert.