Der Kommentar

Mit Rucksack ohne Rücksicht

17.06.2020

Von Stefan Zibulla

Auch ich sehne mich danach, dass die aktuellen Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln bald einer vom Coronavirus geprägten Vergangenheit angehören. Wenn ich dann aber beim Einkaufen in Tübingen wieder zwischen die Rucksäcke gerate, werde ich dieser Phase des Social Distancing nachtrauern. Auf dem Trottoir lassen sich diese oft sehr voluminösen Transporthilfen großräumig umgehen. Aufdringlich werden sie überall dort, wo sich die Kundschaft an Imbisstheken und stark frequentierten Lebensmittelauslagen staut. Der Rucksackträger verdichtet diese eh schon engen Passagen zum erdrückenden Nadelöhr - vor allem, wenn er im Rudel auftritt. Aus anatomischen Gründen fehlt es ihm an der notwendigen Rück-Sicht. Schließlich hat er im Hinterkopf keine Augen. Und es fehlt ihm das Bewusstsein, dass er mit seinem Rucksack auch Verantwortung für jene trägt, die nach ihm kommen. Rucksäcke mit Sensoren, die ihre Träger per Piepston vor Kollisionen warnen, sind offensichtlich noch nicht auf dem Markt. Würde der Ruck- zum Bauchsack umfunktioniert, könnte sein Träger allerdings mit Weitblick auf den vor ihm fließenden Fußgängerverkehr reagieren.

Dass der Rucksack aus der Mode kommt, ist nicht zu erwarten. Schließlich ist er wie geschaffen für die Repräsentanten einer mobilen Gesellschaft, die immer unterwegs sind. Und die nicht nur regelmäßig ihren Wohnort und Arbeitsplatz, sondern auch den Partner und die politische Orientierung wechseln. Und je unsicherer die Lebensverhältnisse in einem Zeitalter der Katastrophen werden, desto wichtiger ist ein griffbereiter und fertig gepackter Notfallrucksack. Am besten, man hat ihn immer dabei und legt ihn höchstens zur Nachtruhe ab.

Sobald die Kundenströme die Geschäftswelt ohne den Mindestabstand von eineinhalb Metern fluten, werde ich mich wieder vor den Rucksäcken in Acht nehmen. Bis dahin genieße ich es, zwischen den Regalen von Supermärkten und Einzelhändlern nicht vor dem auf der Hut sein zu müssen, was urbane Wanderer so alles auf dem Rücken mit sich herumschleppen.