Lärmender Skorpion

Motorräder nerven auf der Schwäbischen Alb

Der Lärm ist ein Schönwetterproblem auf der Schwäbischen Alb. Bei Regen oder schon bei wolkenverhangenem Himmel fahren die Motorräder nicht im Pulk die Albsteige hoch und wieder runter und wieder hoch. Wer am vergangenen Pfingstsamstag nachmittags auf der Gutenberger Steige Richtung Schopfloch unterwegs war, traf auf der Strecke kaum einen Motorradfahrer an, aber etwa 50 Radfahrer.

23.05.2018

Angenehmes Blubbern: Biker schwärmen vom Sound einer BMW. Bild: BMW

Angenehmes Blubbern: Biker schwärmen vom Sound einer BMW. Bild: BMW

Die Gutenberger Steige ist ein beliebtes Ziel für Motorradfahrer. Sie hat ein paar knifflige Kurven. Wer will, kann weiter Richtung Schopfloch rasen und dann die Weilheimer Steige hinunter. Die Ochsenwanger Steige ist für Motorradfahrer langweiliger. Sie hat nur eine einzige Kurve.

Von der Ortschaft Krebsstein auf der Hochfläche oberhalb Gutenberg hinüber zum Wielandstein oberhalb Lenningen zu wandern ist ein Landschafterlebnis sondergleichen. Aber eigentlich nur, wenn kein Motorradwetter herrscht. Denn dann ist die ganze Gegend verlärmt. Ein alter Bauer in Krebsstein hält sich die Ohren zu und sagt: „Wenn sie wenigstens weiterfahren würden, aber da gibt es welche, die fahren vier- oder fünfmal die Steige rauf und runter. Bei der Tankstelle in Gutenberg wenden sie.“

Immer wieder erreichten ihn Beschwerden von Anwohnern, berichtete Hauptamtsleiter Günther Kern von der Gemeindeverwaltung Lenningen. Die Gutenberger Steige liegt auf dem Gebiet der Gemeinde Lenningen. Eine der Hauptursachen für das Lärmproblem seien die getunten Motorräder. Ein großer Teil der Motorradfahrer fahre sicher verantwortungsbewusst, aber wie immer sind es die unvernünftigen, die ihre Fahrzeuge hochdrehen und deren Lärm sich dann über das ganze Tal verbreitet. Kontrollen finden in unregelmäßigen Abständen durch die Verkehrspolizei statt, wie zuletzt Anfang Mai. Eine Sperrung der Gutenberger Steige für Motorräder sei aber nicht durchsetzbar. Es handele sich laut Kern um „eine konfliktlastige Nutzung“ der Alb als Touristikziel. Auch Motorradfahrer sind Touristen Aber ganz besondere. Sie haben ihre eigenen Treffpunkte auf Parkplätzen, wo sie unter sich sind und fachsimpeln können. In den Ausflugslokalen, etwa im Ziegelhof, sind sie selten anzutreffen. „Wenn’s denen zu laut ist, sollen sie doch in die Stadt ziehen“, sagte einer ruppig, den wir darauf angesprochen haben.

Motorradfahrer scheinen ein besonders inniges Verhältnis zum Lärm zu haben. Da wird ein Auspuff sehr erfolgreich unter dem Namen „Skorpion“ vermarktet - Tier mit giftigem, ja tödlichem Stachel. Thema unter Bikern ist auch, dass die . . .

. . . neuen BMW-Motorräder schöner klingen als die Harley-Davidsons. Die BMWs hätten eine Besonderheit in der elektronischen Motorsteuerung: Nehme man das Gas weg, werde noch ein wenig Treibstoff in den Motor gespritzt. Das mache so ein angenehmes Blubbern.

Die Hersteller haben auch an den Betrieb bei Volllast gedacht und für die Typ-Prüfung die Motorsteuerung optimiert. Bei der Prüfung tuckert ein Motorrad mit 50 Kilometern in der Stunde heran und gibt dann auf 20 Metern Vollgas. Dabei sollen 78 Dezibel (dB) Lärm nicht überschritten werden. Eine Elektronik, die den Prüfzyklus erkennt, macht das möglich.

Unter den Bikern ist das alles kein Geheimnis. Zitieren lässt sich damit aber keiner. Hier zieht man vor, anonym zu bleiben, wie unter dem Bikerhelm. Es gibt Standardauspuffanlagen mit abschaltbaren Klappen, es gibt Zubehör-Auspuffe, denen man die so genannten dB-Eater entnehmen kann. Sie werden dadurch etwa 10 dB lauter. Das menschliche Gehör empfindet das als eine Verdoppelung des Lärms.

Ein Auspuff reduziert auch immer die Motorleistung. Manche, besonders Motocross-Fahrer, bauen deshalb eine Abgasklappe ein - damit die Abgase erst gar nicht durch den Auspuff gehen. Und erhoffen sich eine beträchtliche Leistungssteigerung. Alle überzeugt das nicht. Einer hat mal gehört, wie ein älterer Motocross-Fahrer einen jüngeren derb zusammengestaucht hat: „Dann geh doch vor dem Rennen scheißen. Ein paar Kilo weniger Gewicht macht die Manipulation am Auspuff überflüssig.“

Für die Lärmstatistiken und Lärmschutzpläne der Gemeinden spielt der Motorradlärm keine Rolle. Hierfür wird der Lärm nicht gemessen, sondern errechnet. Oberhalb einer Geschwindigkeit von etwa 100 Stundenkilometern hören die Biker ihren eigenen Motorlärm nicht mehr. Der wird dann vom Windgeräusch überlagert. In dem Geschwindigkeitsbereich, in dem Motorradfahrer die Albsteige hochdonnern, ist der eigene Motorenlärm durchaus wahrnehmbar.

Manchmal erschrickt ein Biker auch über Lärm. Aber nicht über den eigenen, sondern - erzählt einer – wenn er gemütlich nach Tübingen hineintuckert und an einem Trupp der Stadtgärtnerei mit Laubbläsern vorbeikommt. Hölle! Fred Keicher

Die Polizei und der Landkreis Reutlingen wollen etwas gegen den Lärm im Biosphärengebiet unternehmen. Etwa durch verstärkte Messungen und Kontrollen. Einzelheiten werden auf einer Pressekonferenz am heutigen Mittwoch, 23. Mai, bekanntgegeben. Der TAGBLATT ANZEIGER wird berichten.

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23.05.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 23.05.2018, 01:00 Uhr

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