Perspektive vermitteln

Musikinstrumente für argentinische Kinder

Guillermo López ist Musiklehrer, Chorleiter, Komponist und Klavierstimmer. In den 90er-Jahren hat er drei Jahre in Tübingen gelebt und den Chor „Semiseria“ gegründet.

17.01.2018

Guillermo Lopez. Bild: Bachmann

Guillermo Lopez. Bild: Bachmann

Seit der großen Wirtschaftskrise in Argentinien 2001 lebt López die eine Hälfte des Jahres in Argentinien, die andere in Deutschland, wo er von Hamburg bis zum Bodensee Klaviere stimmt. Seine Leidenschaft ist es, über die Musik Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen zusammen zu bringen. Dafür organisiert er für deutsche Chöre wie den Südwestdeutschen Kammerchor, Semiseria oder die Capella Vocalis aus Reutlingen Tourneen in Argentinien. In Deutschland sammelt er Musikinstrumente für ein besonderes Projekt, das „Orquesta Escuela San Juan“.

TAGBLATT ANZEIGER: Für wen sind die Instrumente, die Sie nach Argentinien schicken?

Guillermo López: Mein Freund Jorge Rodrigo hat in San Juan den Verein „Orquesta Escuela San Juan“ gegründet. Hier geben ausgebildete Orchestermusiker Kindern, von denen viele aus eher unterprivilegierten Familien kommen, Musikunterricht auf Orchesterinstrumenten. Mittlerweile gibt es sieben Gruppen mit insgesamt 200 Kindern, eine davon befindet sich in einem Waisenhaus. Die Kinder machen vier Mal in der Woche drei Stunden gemeinsam Musik. Dabei lernen sie natürlich nicht nur die Musik und sind „von der Straße weg“, sondern lernen auch alles, was mit Musik zu tun hat: Ausdauer, Disziplin, Zusammenarbeit, Integration. Die Musik bringt Kinder zusammen, die sich sonst nie begegnen würden.

Wie lange gibt es das Projekt?

In San Juan arbeiten wir seit sechs Jahren. Aber die Idee ist viel älter: Vor 40 Jahren hat in Venezuela José Antonio Abreu das Projekt „El Sistema“ gegründet, mit dem er Kinder von der Straße geholt und ihnen das Spielen eines Musikinstrumentes beigebracht hat. Insgesamt hat er 700 000 Kinder erreicht, von denen einige Profimusiker geworden sind. Wir arbeiten in San Juan mit Orchestermusikern aus Venezuela, die die Kinder unterrichten und selber bei „El Sistema“ eine Ausbildung gemacht haben.

In San Juan sehen wir jetzt erste Ergebnisse. Bis jetzt war das Projekt eher sozial-integrativ, ob wir da lauter ProfimusikerInnen ausbilden, weiß man nicht. Aber wenn wir den Kindern Musik als eine Perspektive im Leben vermitteln können, hat sich das schon gelohnt.

Mittlerweile gibt es in jeder argentinischen Provinzhauptstadt solche Projekte, das wird die argentinische Musikkultur sehr verändern.

Inwiefern?

In Argentinien ist die kulturelle Tradition eine ganz andere als in Deutschland, es wird viel weniger klassische Musik gemacht. In meiner Heimatstadt Bariloche, die ungefähr so groß ist wie Tübingen, gibt es nur einen einzigen Oboisten! Als Chorleiter konnte ich dort nur die frühen Bachkantaten aufführen, weil für die älteren Werke keine Instrumente zur Verfügung stehen. Das Fagott musste ich aus Buenos Aires einfliegen lassen. Dort gibt es vielleicht 350 Klaviere, das Bechstein-Zentrum in Tübingen hat über 8000 Kunden! Klassische Musik war in Argentinien immer eine sehr elitäre Angelegenheit, das ändert sich jetzt. Wir haben mit den deutschen Chören auch schon Konzerte in Schulen in ganz abgelegenen Orten organisiert, um Kinder in Kontakt mit dieser Musik zu bringen.

Spielen die Kinder nur klassische Musik?

Nein, sie spielen auch lateinamerikanische Musik, weil es das ist, was sie kennen, während ihnen Mozart absolut fremd ist.

Viermal in der Woche drei Stunden Proben und Unterricht – das klingt fast eher nach Strafkolonie als nach Spaß!

Das ist es aber nicht. Für die Kinder ist es wie ein Club, in den sie kommen, um ihre Freunde zu treffen. Und sie bekommen bereits am ersten Tag ein Instrument in die Hand und spielen gemeinsam im Orchester, auch wenn sie nur zwei Saiten zupfen können. Erst wenn sie schon etwas können, bekommen sie auch Einzelunterricht. Dieses Gruppenerlebnis ist ungeheuer motivierend, deshalb bleiben die meisten Kinder dabei.

Kostet der Unterricht etwas?

Nein, der Unterricht ist kostenfrei und die Instrumente bekommen die Kinder von uns geliehen. Allerdings müssen die Eltern ihre Kinder unterstützen, indem sie sie hinbringen und abholen oder zu Hause üben lassen.

Sie sammeln jetzt hier Instrumente für das Projekt.

Genau. Ich höre mich bei meinen Kunden um und frage in Chören nach, ob jemand ein unbenutztes Instrument hat, das wir haben können. Wir nehmen alles, in San Juan haben wir eine Geigenbauerin, die beschädigte Instrumente für die Kinder repariert. Bis jetzt habe ich 140 Orchesterinstrumente bekommen, da war alles dabei außer einem Fagott und einer Tuba.

Dabei habe ich sehr berührende Geschichten erfahren, die Menschen verschenken mit dem Instrument oft auch einen emotionalen Wert.

Wie kommen die Instrumente nach Argentinien?

Mit Diplomatengepäck! Der Kulturattaché an der deutschen Botschaft in Buenos Aires, Christian Krüger, unterstützt uns da sehr. Jedes Jahr werden etwa zwei bis drei Container nach Argentinien geschickt, da dürfen wir unsere Instrumente beiladen. Auf diese Weise hat sogar ein Kontrabass den Weg von Rottenburg nach Argentinien gefunden!

Interview: Andrea Bachmann

Wer dem „Orquesta Escuela San Juan“ ein Instrument schenken oder mehr über das Projekt wissen möchte, wendet sich am besten an Guillermo López:

pianosbariloche@gmail.com

Guillermo Lopez. Bild: Bachmann

Guillermo Lopez. Bild: Bachmann