Tübinger Feierabend

Nach wochenlanger Corona-Pause ist wieder was los in der Stadt

24.06.2020

Hygienemäßig nicht zu beanstanden: Sängerin beim „Tübinger Feierabend“ hinter einer Fensterscheibe. Bild: Andrea Bachmann

Hygienemäßig nicht zu beanstanden: Sängerin beim „Tübinger Feierabend“ hinter einer Fensterscheibe. Bild: Andrea Bachmann

Tübingen. Es sollte so schön sein: Die Läden und Cafés, Museen und Galerien in der Stadt wieder geöffnet und lauter gut gelaunte Menschen, die nach wochenlanger Pause ganz ausgehungert sind nach Kunst, Kultur, Kommerz und vor allem: Begegnung! Man würde sich lachend in den Armen liegen, in die Hände spucken und die Läden wieder zum Laufen bringen. Stattdessen versprühte der Tübinger Handel Desinfektionsmittel und die Gäste und Kundinnen hielten Abstand.

Eine Task-Force mit Vertreter(inne)n aus Stadtverwaltung und lokalen Wirtschaftsvereinen (WiT, BVV, Gastroeinheit, HGV, Tü-Gast und Tübingen Erleben) traf sich und suchte nach einer Lösung. Heraus kam ein Projekt, das unter dem Motto „Gönn dir Tübingen!“ wieder Leben in die Stadt bringen soll. Alle teilnehmenden Betriebe waren aufgerufen, am Donnerstag zur besten After-Work-Zeit zwischen 17 und 20 Uhr ein Mini-Event auf die Beine zu stellen. Das Projekt wurde mit einer engmaschigen Social-Media-Kampagne beworben und vergangenen Donnerstag war Premiere für den „Tübinger Feierabend“. Der TAGBLATT ANZEIGER war dabei.

Wir starteten auf dem Schloss. Speed-Guiding nannte sich der Turbo-Parcours, mit dem der Unimuseums-Direktor Ernst Seidl die amüsierten und staunenden Gäste im Eiltempo einmal quer durch das ganze Museum führte, von den Eiszeitfiguren bis zur Abgusssammlung im Rittersaal. „70 Prozent der Tübinger/innen waren noch nie hier oben und viele von ihnen wissen nicht einmal, dass wir hier zwei Abteilungen haben, die Teil des UNESCO-Weltkulturerbes sind, die Eiszeitfiguren und die Pfahlbauten“, meint Seidl. „Wenn wir alle Leute aus Tübingen einmal im Jahr zu uns hoch lotsen könnten, wäre das fantastisch. Dann müssten wir uns nie wieder Sorgen um Besucherzahlen machen.“

Auf dem Weg hinunter in die Stadt ein entspannter Ständerling vor dem Hotel am Schloss. Man genießt den Sommerabend mit leckeren Aperitifs, wir bekommen etwas Feines aus Erdbeeren und Melone und überlegen, wann wir das letzte Mal so unbefangen plaudernd zusammengestanden sind.

Dass die Zwischenräume zwischen uns ein wenig größer sind als früher, trübt die Freude keineswegs. Auf dem Marktplatz und vor der Jakobuskirche dasselbe Bild. Menschen reden, lachen, trinken, essen.

Christoph Schmid serviert Weine vom Jakobsweg: eine Pilgertour in die lang entbehrte Normalität. „Nächste Woche bringe ich Weine aus Portugal mit“, verspricht er. Im Jeansladen am „Blauen Eck“ steht eine Sängerin mit blaugefärbten Haaren im Schaufenster, die Musik wird auf die Straße übertragen. Ein paar Mädchen tanzen auf dem Asphalt. Nebenan im „Unikat“ werden Second-Hand-Kleider probiert. Blau ist eine warme Farbe und man kann auch unter einer Maske lächeln.

Barbara Rongen vom HGV-Vorstand hat sich extra in Schale geworfen und hält in einem bodenlangen roten Abendkleid Hof vor ihrem Laden „Style Affaire“ in der Pfleghofstraße. An einem langen Tisch werden Wachstücher gebastelt, das Fernsehen ist da und interviewt sie gemeinsam mit der Tübinger Gemeinderätin Asli Kücük. „Gönn dir Tübingen“ sei ein voller Erfolg, finden die beiden Frauen und freuen sich auf weitere Abende.

Wer zur Premiere noch zögerte oder nicht da war, zieht jetzt nach: Paul-Janosch Ersing wird einen Faltwettbewerb mit seinen Brompton-Fahrrädern veranstalten, bei „Il fiore“ kann man einen der angesagten „floral loops“ – eine hübsche Mischung aus Blumenkranz und Traumfänger – selber gestalten und im „Al Farbrica“ in der Bachgasse Kacheln bemalen. Dazu wieder Musik überall, Feines zum Essen und Trinken und auch Schnäppchenjäger/innen dürften auf ihre Kosten kommen.

Auch außerhalb der Altstadt gönnt man sich Tübingen: Mit einer Harfenistin in der Rosenau und dem Omari-Car-Service, der im französischen Viertel einen kostenlosen Sommercheck anbietet. Die Stadt lebt wieder. Andrea Bachmann

www.gönn-dir-tübingen.de/