Aus der Luft und zu Fuß (45)

Obernau

12.09.2018

Von Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

Obernau

Als der König der Moabiter sah, wie die Israeliten sich anschickten, in das gelobte Land Kanaan zu ziehen, schickte er ihnen einen Gesandten namens Bileam entgegen, der ihnen ordentlich Bange machen und sie von ihren Siedlungsbestreben abbringen sollte. Bileam ritt also auf einem Esel los, um die Israeliten zu verfluchen. Unterwegs trat ihm ein Engel entgegen, um ihn aufzuhalten, den er jedoch übersah. Nicht so der Esel. Geblendet von der himmlischen Präsenz blieb das Tier stehen, war durch nichts von der Stelle zu bewegen und begann schließlich sogar zu sprechen! Bileam bekam den Schrecken seines Lebens, machte auf dem Absatz kehrt und die Israeliten konnten in Ruhe ihrer Wege ziehen.

An diese Geschichte aus dem 4. Buch Mose erinnerten sich im Mittelalter die Bewohner des Städtchens Obernau – im Spätmittelalter war Obernau tatsächlich eine Stadt! – angesichts einer Belagerung. Sie banden deshalb einen Esel an den dicken Rundturm ihrer Wasserburg und hofften, der Esel werde mit seiner Eloquenz die Belagerer in die Flucht schlagen. Deshalb nennt man den heute funktionslosen Turm neben dem Obernauer Schloss den Eselsturm.

Es ist nicht bekannt, wie die Geschichte ausgegangen ist. Aber der runde Burgfried an sich war schon imposant und abschreckend genug: Aus Bruchstein, und mächtigen Buckelsteinquadern aus Tuffstein hatte man drei Meter dicke Mauern gebaut, die so stabil waren, dass sie noch im 19. Jahrhundert allen Versuchen widerstanden, den Turm abzutragen.

Die Bauherren waren vermutlich die Herren von Ow, die den Ort im schönen Neckartal bereits im 11. Jahrhundert gründeten. Die Wasserburg, zu der der Eselsturm gehörte, war der Vorgängerbau des hübschen Schlösschens, das die Freiherren von Raßler Ende des 18. Jahrhunderts erbauen ließen. Sie wurde im 13. Jahrhundert erbaut und der runde Bergfried weist darauf hin, dass die Grafen von Hohenberg bei den Plänen Pate gestanden hatten, die solche runden Türme bevorzugten. Der künstliche Hügel war so hoch, dass er bis zum Beginn des Tuffsteinmauerwerks reichte, was bedeutete, dass die Herren und Damen von Ow eine fast sechs Meter hohe Treppe erklimmen mussten, bevor sie durch die noch heute erhaltene Rundbogenpforte ins Innere der Burg gelangten.

Vielleicht lebte auf dieser Burg sogar schon einer der berühmtesten Mitglieder der Familie von Ow, der Dichter Hartmann von Aue, der um 1220 verstarb und neben Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg der bedeutendste Erzähler der mittelhochdeutschen Literatur war. Urkundlich nachweisbar ist das nicht und Aue oder Ow ist ein so häufiger Name, dass als Herkunftsorte auch andere Orte namens Au in Frage kommen. Für Obernau spricht, dass ganze Roman-Episoden Hartmanns der Geschichte derer „von Owen“ entsprechen, die als Dienstleute der Zähringer seit 1112 in Obernau nachweisbar sind.

Deshalb ließen die Herren von Ow in ihrem Familienschloss Fresken anbringen, die den berühmtesten Roman ihres illustren Vorfahren zum Thema haben: Die Geschichte vom „Armen Heinrich“ erzählt von einem hochadligen Ritter, der nur durch das Blut einer opferwilligen Jungfrau zu retten ist, im letzten Moment aber auf das Menschenopfer verzichtet. Die Gebrüder Grimm, aber auch Ludwig Uhland und Gustav Schwab haben die herzzerreißende Geschichte dankbar aufgegriffen.

Seit einigen Jahren feiert man den „Ritter aus Schwaben“ in Obernau mit einem zünftigen Hartmann-von-Aue-Fest.

Ob Hartmann von Aue seine Minnelieder und Romane im idyllischen Rommelstal gedichtet hat, weiß man nicht. Wenn er es getan hat, dann stillte er seinen Durst bestimmt an der Wasserleitung, die etwa 100 n. Chr. von den Römern angelegt wurde, um die Stadt Sumelocenna, das römische Rottenburg, mit Trinkwasser zu versorgen. Das Aquädukt ist 7,16 Kilometer lang und damit die längste bislang gefundene römische Wasserleitung diesseits des Rheins. Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
12.09.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 12.09.2018, 01:00 Uhr

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