Willkommen im Netz

Sabine Oehler über ihre Plattform für Geflüchtete

Sabine Oehler, die in Tübingen eine Werbeagentur betreibt, engagiert sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe. Im Jahr 2015 gründete sie die Facebook-Gruppe „Flüchtlinge – Willkommen in Tübingen“, die aktuell über 3000 Mitglieder zählt.

11.04.2018

Sabine Oehler macht aus Facebook ein soziales Netzwerk im wahrsten Sinne des Wortes. Bild: Schmidt

Sabine Oehler macht aus Facebook ein soziales Netzwerk im wahrsten Sinne des Wortes. Bild: Schmidt

TAGBLATT ANZEIGER: Welchen Zweck verfolgt die Gruppe?

Sabine Oehler: Vor allem den eines Marktplatzes. Eine Plattform für alle, die sich informieren wollen. Anfangs waren es hauptsächlich Helfer, die beitraten, mittlerweile sind auch viele Geflüchtete dabei.

Ihre Rolle dabei ist, das Ganze zu moderieren, oder?

Genau. Mittlerweile sitze ich auch an den Informationsquellen. Bis zum Sommer 2015 habe ich unorganisiert als Einzelhelferin gewirkt. Danach habe ich auf Waldhäuser Ost zusammen mit dem Stadtteiltreff bei dem Café International mitgewirkt. Ab Dezember 2015 war ich dann in dem Unterstützerkreis von der Bonhoeffer Kirche tätig. Im Laufe dieser Zeit kam ich an die Infotöpfe.

Anfangs, als die ersten großen Wellen von Flüchtlingen ankamen, wirkte die Organisation der Hilfsstellen ziemlich chaotisch . . .

Es war eigentlich gut organisiert, nur wurde leider schlecht kommuniziert. Das konnte behoben werden.

Woran besteht momentan Bedarf?

Hauptsächlich bin ich derzeit in dem von mir gegründeten Freundeskreis Holderfeld tätig – eine städtische Anschlussunterbringung. Eine ganz wesentliche Hilfe, nach der immer wieder gefragt wird, ist ein deutsches Sprachgegenüber. Wir suchen ständig vor allem junge Leute, die sich das vorstellen können.

Machen Sie auch unangenehme Erfahrungen?

Natürlich. Einmal wurde ein islamistisches Hass-Video in der Gruppe gepostet, das ich selbstverständlich sofort gelöscht habe. Als ich um Unterstützung für den Freundeskreis Holderfeld aufgerufen habe, hat am nächsten Morgen mein Telefon geklingelt und eine Frau hat mich sicher eine halbe Stunde lang wüst beschimpft. Bei der Gründung der Facebook-Gruppe standen von Anfang an Rechte vor der Tür. Aus gutem Grund handelt es sich bei unserer Facebook-Gruppe um eine geschlossene Gruppe. Auch heute noch schaue ich mir jedes Profil genau an, bevor ich jemanden freischalte. Ich möchte da keine rechte Hetze drin haben.

Trägt der Tübinger Oberbürgermeister zu einer positiven Stimmung bei beim Thema Flüchtlinge?

(schmunzelt) Ich würde das so sagen: Eine Weile lang habe ich versucht, die Dinge gerade zu rücken und viel auf Herrn Palmers Seite gepostet – mittlerweile habe ich das aufgegeben. Zum Glück funktioniert die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt in Tübingen ausgesprochen gut. Dank einer hervorragenden Verwaltung. Insofern spielt das, was der OB so durch die Gegend posaunt, in der Arbeit mit Geflüchteten keine Rolle. Aber er vergiftet natürlich das Klima mit seiner platten und pauschalisierenden Art. Auf seiner Facebook-Seite ist ja eindeutig viel Rassismus zu finden. Da treiben sich offen agierende Identitäre und AfD- Funktionäre herum, die übelste Dinge verbreiten.

Was sagen Sie zur Tafel-Debatte?

Ich finde es schade, wie sie in Essen reagiert haben. In Tübingen konnte man die Problematik dadurch entzerren, dass den Tafelbesuchern einzelne Tage zugewiesen wurden. Ich gehe davon aus, die Essener haben das gar nicht so gemeint, wie es in der Öffentlichkeit transportiert wurde. Sehr bedauerlich, wie das ’rüberkam.

Sind Sie eine Idealistin?

Ja. Aber ich bin auch Pragmatikerin. Zwischen zehn und zwanzig Stunden die Woche bin ich ganz praktisch unterwegs. Gehe mit einem Schützling zum Jobcenter, zum Arzt, zur Schule, zur VHS. Darum geht es ja in erster Linie: Tatkräftig die Hand zur Integration zu reichen, damit die Leute hier ankommen können.

Wo liegen die Schwierigkeiten?

Zum Beispiel darin, dass wir es oft mit traumatisierten Menschen zu tun haben. Viele haben in ihrer Heimat schreckliche Dinge erlebt, andere auf dem Weg zu uns. Einige haben auch Familien in Gebieten, in denen noch gebombt wird. Die sind mit ihrem Kopf bei ihren Angehörigen und tun sich deshalb logischerweise auch mit der Sprache schwer.

Gibt es die Willkommenskultur noch?

Die große Willkommenskultur, in die sich jeder einbringen wollte, ist abgeflaut. Diejenigen, die sich 2015/16 ernsthaft engagieren wollten, bei denen ist die Bereitschaft großenteils geblieben. Bei denen hingegen, die damals indifferent waren, die nicht wussten, auf welche Seite sie sich schlagen sollen, hat sich die Stimmung gedreht. Viele Ängste sind völlig aus der Luft gegriffen, aber sie lassen sich halt leider gut instrumentalisieren. Meine These ist, dass es insgesamt rauer in der Gesellschaft wird, was aber nichts mit den Flüchtlingen zu tun hat.

Fragen von Philipp Schmidt

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Erstellt:
11.04.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 11.04.2018, 01:00 Uhr

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