Da kann niemand sitzen bleiben

Samstagnachmittags treffen sich die Pontosgriechen zum Tanzen

03.01.2018

Samstagnachmittags treffen sich die Pontosgriechen zum Tanzen

Panagiota ist zehn Jahre alt und die jüngste Tänzerin, die an diesem Samstagnachmittag ins Weilheimer Kneiple zur Probe kommt. Zu den mitreißenden, rhythmischen Klängen von Lyra, Trommel und Pfeife vollführen ihre Füße hochkomplizierte Bewegungsabläufe in sambaähnlicher Geschwindigkeit. Sie tanzt hochkonzentriert und trotzdem locker als letztes Glied einer Menschenkette aus meist jungen Männern und Frauen.

Eleftherios Ekoutsidis ist Präsident des Tanzvereins der Pontosgriechen in Tübingen. Pontosgriechen lebten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der türkischen Schwarzmeerküste. Zwischen 1916 und 1923 wurden sie – wie die Armenier – aus ihrer Heimat vertrieben oder umgebracht. Die Türken waren dabei nicht zimperlich. Dutzende von Dörfern wurden geplündert und verbrannt, etwa 353 000 Menschen kamen ums Leben, vor allem Frauen und Kinder.

Pontosgriechen sprachen eine eigene Sprache, die dem Altgriechischen noch sehr nahe ist. „Mein Großvater hat das noch gesprochen“, meint Eleftherios. Er konnte auch noch zwei oder drei der Tänze, die heute zum Repertoire des Tübinger Tanzvereins gehören.

Da die Pontosgriechen bereits vor hundert Jahren ihre Heimat verlassen mussten, sind die Großeltern und Eltern Griechen aus Griechenland. „Aber über die Vereine vermitteln wir noch die pontosgriechische Kultur, die Sprache, die Musik und die Tänze. Wir sind ein Trachtenverein und auf unseren Auftritten tragen wir die Kleidung, die die Pontosgriechen vor über hundert Jahren getragen haben. Wir möchten, dass unsere Kinder mit Griechenland noch etwas anderes verbinden als Geld oder Krise.“

Etwa 30 Tänzerinnen und Tänzer gehören zum Tanzverein, heute sind es achtzehn, die sich der Größe nach aufstellen und in einem offenen Kreis tanzen, Solisten gibt es keine. Der Anführer gibt die Kommandos, ähnlich wie beim Squaredance. Die Geschwindigkeit ist atemberaubend, etwa wie bei einer Samba. Es gibt eine ganze Reihe Tänze, die nur zu speziellen Anlässen getanzt werden, zum Beispiel bei einer Hochzeit oder anlässlich der Geburt eines Kindes, einige Tänze werden ausschließlich von Männern getanzt und symbolisieren die Kriegsvorbereitung. Die Tänze sind mit all ihren regionalen Variationen alle schriftlich und mündlich überliefert. Pontosgriechen tanzen übrigens keinen Sirtaki.

Dazu leistet sich der Tanzverein Live-Musik, die Musiker kommen wie der Tanzlehrer aus Stuttgart. „In Tübingen kann niemand die traditionellen Instrumente spielen“, erklärt Eleftherios. Besonders typisch ist die dreisaitige Lyra, eine besonders hochtonige Kniegeige, die seltsam ohren- und nervenzerfetzende Töne produziert. „Die pusht extrem“, lacht der Musiker, „da kann einfach niemand sitzen bleiben“. Mit einer Mitteltonlyra könnte man auch andere Sachen spielen, Latino oder Rock, aber diese Schwarzmeerversion ist auf die pontosgriechischen Tänze spezialisiert.

Vor zwei Jahren hat sich der Tanzverein neu gegründet, genauso lange ist Eleftherios Ekoutsidis, der im normalen Leben als Busfahrer bei den Tübinger Stadtwerken arbeitet, Präsident. Man probt immer samstagnachmittags im Weilheimer Kneiple, der griechische Wirt unterstützt auf diese Weise seine Landsleute. „Aber wenn hier eine Veranstaltung ist, müssen wir etwas anderes finden. Und wir suchen sehr dringend einen Raum für unser Archiv und für unsere Trachten.“ Die Gruppe hat fünf bis sechs Auftritte im Jahr, Stadtfest und Weihnachtsmarkt sind feste Termine.

Eine Altersbeschränkung nach oben oder nach unten kennt der Verein nicht und es können natürlich alle mitmachen, die Lust haben, in einer solchen Gruppe zu tanzen. Auch Deutsche. Aber bis jetzt haben alle Mitglieder noch pontosgriechische Wurzeln. Ein Zufall ist das nicht. „Du brauchst für diese Tänze schon eine bestimmte DNA.“

Text und Bild: Andrea Bachmann

Wer selber mittanzen oder den Verein unterstützen möchte, darf gerne anrufen: Eleftherios Ekoutsidis: 01 73 / 2 10 36 54