Aus der Luft und zu Fuß (57)

Seebron

12.12.2018

Seebron

Heute kennt man Seebronn vor allem wegen „Rock of Ages“. Seit 2006 kommen meist altgediente Größen guter, klassischer Rockmusik auf den Festplatz des kleinen Ortes, der für den Rest des Jahres eher über ländlichen Charme verfügt. Im nächsten Jahr erwartet man BAP und „Extrabreit“. Wenn die ihr berühmtes „Flieger, grüß mir die Sonne“ anstimmen, werden sich alle Mittfünfziger garantiert wieder so fühlen wie auf ihrer Schulabschlussparty. Auch Barclay James Harvest oder Uriah Heep waren hier schon zu Gast, das Festival dauert drei Tage und am Sonntag gibt es ein extra Familienprogramm.

Vor 200 Jahren gab es noch kein Festival, sondern allenfalls einmal einen Tanz unter der Dorflinde oder eine Lichtstube. Hier hätte man das „Rösle von Seebronn“ antreffen können, dem der Orientalist und Märchensammler Ernst Meier Mitte des 19. Jahrhunderts ein literarisches Denkmal gesetzt hat. Die Geschichte um die (evangelische) Magd, die von ihrem (katholischen) Dienstherren schwanger wird, was dessen Ehefrau nur mäßig amüsiert. Der Vater des untreuen Bauern, der Schultheiß von Seebronn, holt das Rösle auf den Hof zurück und schlägt eine alle Konventions- und Konfessionsgrenzen sprengende Lösung des Problems vor. Die Geschichte war bei aller biedermeierlichen Innigkeit so revolutionär, dass Ernst Meier es nicht wagte, sie in Druck zu geben. Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger fand sie in Meiers Nachlass, gab sie 1990 heraus und setzte damit nicht nur Ernst Meier, sondern auch Seebronn ein kleines literarisches Denkmal.

Seebronn wird 1182 zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Der Name leitet sich von einer niederadeligen Familie ab. Eine Oberamtsbeschreibung aus dem 19. Jahrhundert hält über diese Familie vor allem Informationen über finanzielle Transaktionen bereit – da verfügen 1393 Bertha und Katharina, die Töchter eines Werner von Seebronn, zu dessen Gedächtnis eine kleine Stiftung für das Rottenburger Karmeliterkloster. 1388 erlaubt Graf Rudolph von Hohenberg Katharina von Lichtenstein 20 Malter jährlichen Roggengeldes aus dem Laienzehnten zu Seebronn zu kaufen, die er 1380 an Walter Seyfried zu Rottenburg verpfändet hatte. 1409 verpfändet Herzog Friedrich von Österreich dem Schultheißen Hans Schmid aus Herrenberg die Vogtei zu Seebronn sowie jährlich 20 Pfund Heller auf die dort erhobene Steuer. Die Stiftungen, Käufe und Pfändungen zeigen ein kompliziertes System aus Verpflichtungen und Abhängigkeiten.

Viele Jahrhunderte war Seebronn eine Tochtergemeinde der Martinskirche in Sülchen, auch Ende des 15. Jahrhunderts, als die Kirche auf dem Rottenburger Marktplatz Pfarrrecht und Patrozinium von Sülchen übernahm. Erst 1780 wurde Seebronn eine eigene Pfarrgemeinde und blieb es bis 1981. Seitdem gehört Seebronn wieder zur Rottenburger Dompfarrei. Die Kirche mit der barocken Zwiebelhaube auf dem Turm wurde bereits 1755 erbaut und mit Malereien an Decke und Fenstern versehen, die heute wieder zu sehen sind. Die Kanzel ist etwas älter als die Kirche und stammt aus der ehemaligen Rottenburger Jesuitenkirche. Die Kirche ist dem heiligen Jakobus geweiht und liegt direkt an einer alten Straße, die von Ulm über Tübingen nach Straßburg führte – und von da aus, wenn man denn wollte, immer weiter bis in den äußersten Westen Spaniens, wo Jakobus, einer der Söhne des Zebedäus und enger Vertrauter von Jesus, angeblich seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Andrea Bachmann

Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
12.12.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 40sec
zuletzt aktualisiert: 12.12.2018, 01:00 Uhr

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