Mit dem Tod leben

Sterben wird in Reutlingen zum Smalltalk-Thema

Sandra Anna Lang folgt ihrer aus Erfahrung gewachsenen Überzeugung: Die frühere Softwareentwicklerin wurde zunächst Krankenpflegerin, 2018 folgte die Selbstständigkeit als Trauerbegleiterin. In einer kostenfreien Gesprächsrunde möchte sie über Sterben, Leben und Trauer ins Gespräch kommen.

02.05.2019

Trauerbegleiterin Sandra Anna Lang holt ein schwieriges Lebensthema in eine positive Umgebung. Bild: Philipp Schmidt

Trauerbegleiterin Sandra Anna Lang holt ein schwieriges Lebensthema in eine positive Umgebung. Bild: Philipp Schmidt

TAGBLATT ANZEIGER: Wie läuft eine Trauerbegleitung ab?

Sandra Anna Lang: Zuerst wird eine Anamnese gemacht. Also: Worum geht es? Gab es schon früher Trauererfahrungen? Gibt es noch andere Belastungsfaktoren oder Trauererschwernisse? Ich bin ganz offen für die Themen, die ein Klient mitbringt. Trauer ist schließlich sehr vielgesichtig. Trauer bedeutet nicht nur traurig sein. Viele ziehen sich zurück. Wir führen Gespräche, gehen aber auch raus an Trauerorte. Daneben arbeite ich gerne kreativ, oder auch mit Entspannungstechniken.

Heilt die Zeit nicht alle Wunden?

Nein, leider nicht. Die Zeit macht schon etwas, aber nicht ohne Zutun. Wenn man verdrängt, spitzt es sich eher zu. Man kann sich Trauer als eine Spirale vorstellen. Man kommt immer wieder an dieselben Punkte, aber auf höherer Stufe. Also nicht die Zeit heilt Trauer, Trauern heilt Trauer.

Haben Sie persönlich Erfahrungen in dem Bereich machen müssen?

2012 starb mein Bruder. Obwohl es erschwerende Umstände gab, konnte ich damit ganz gut umgehen. Es gibt allerdings auch andere Trauer-Ursachen, die, neben dem Tod, auch sehr belastend sein können. Kinderlosigkeit zum Beispiel. Mit solchen Trauererfahrungen ist man leider oft allein, weil sich Ärzte im Normalfall damit nicht gut auskennen. Trennungen, Krankheitsdiagnosen, Heimatverlust, Fehlgeburten, Arbeitsplatzverlust oder der Eintritt ins Rentenalter – das sind Trauererfahrungen, die individuell als sehr schlimm erfahren werden können.

Hat unsere Gesellschaft keinen guten Umgang mit Trauer und Tod?

Wir haben da ganz viel verloren. Wir hatten Trauerbräuche. Das Trauerjahr, schwarz tragen, Aufbahrung. Da ist leider viel verlorengegangen.

Trauer und Tod sind in Institutionen verlagert worden. Man stirbt im Krankenhaus, dann regelt der Bestatter den Rest. Die Hinterbliebenen sind da ziemlich außen vor. Der Tod ist tabuisiert, wir haben Berührungsängste entwickelt und deshalb nehmen die meisten unzureichend Abschied. Viele glauben auch, sie müssten ihre Kinder vor dem Thema Tod schützen und sagen dann so etwas wie: Die Oma ist eingeschlafen. Das kann mitunter dazu führen, dass das Kind eine Angst vor dem Einschlafen entwickelt. Ein offener und ehrlicher Umgang ist das beste Mittel, um mit dem Tod zu leben.

Ihr Flyer für das Death Café ist eher humoristisch gestaltet. Sollte man den Tod leichter nehmen?

Es war meine Absicht, das Thema nicht so schwer darzustellen. Ich wollte eine spielerische Neugier wecken. Der Tod gehört schlicht zum Leben. Er ist so natürlich wie die Geburt. In Bhutan, dem sogenannten Königreich des Glücks, erinnert man sich fünfmal am Tag an den Tod. Ich denke, auch uns würde eine größere Beschäftigung damit guttun. Die Bewusstheit über die Begrenztheit des Leben kann dazu führen, dass wir unser Leben leichter priorisieren. Was ist wirklich wichtig? Was will ich gesagt und getan haben? Und zwar jetzt, nicht erst kurz vor dem Sterben. Es gibt auch Studien, die belegen, dass eine Beschäftigung mit dem Tod glücklicher leben lässt.

Wie hat man sich das Death Café vorzustellen?

Bei dem Death Café handelt es sich um ein soziales Franchise, das von Jon Underwood entwickelt wurde. Der Buddhist hat das Konzept in die Welt gebracht. Die Idee eines Café Mortel stammt allerdings von dem Schweizer Bernard Crettaz. Für mich ist es ein großartiger Ansatz, das Thema Tod wieder ins Bewusstsein zu rufen und Interessierten zugänglich zu machen. Und das kostenlos und frei, sodass jeder hingehen kann. Im Prinzip treffen sich einfach Leute, die einmal sterben werden und sprechen über ihre Gedanken dazu.

Die Fragen stellte Philipp Schmidt

Das erste Death Café-Treffen erfolgt am 3. Mai um 19 Uhr im Officehome WeXelwirken in der Reutlinger Burkhardt+Weber-Straße 69/1.

Je nach Beteiligung folgen monatliche Sitzungen. Weitere Infos: SandraAnnaLang.de

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Erstellt:
02.05.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 02.05.2019, 01:00 Uhr

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