Klosterwüstung statt Einsiedelei?

Tübinger Mittelalter-Archäologen stellen die überraschenden Grabungsergebnisse von einer Hangterrass

14.10.2020

Ein großer Kreis von Interessierten und Unterstützern besichtigt die Grabung. In der Mitte die Mittelalter-Archäologen der Universität Tübingen: Lukas Werther, Michael Kienzle und Moritz Foth (von links). Bilder: Gabriele Böhm

Ein großer Kreis von Interessierten und Unterstützern besichtigt die Grabung. In der Mitte die Mittelalter-Archäologen der Universität Tübingen: Lukas Werther, Michael Kienzle und Moritz Foth (von links). Bilder: Gabriele Böhm

Scherben von feinen Glasgefäßen wurden gefunden, grünglasierte Ofenkacheln, ein verzierter Kerzenleuchter, viele Dachziegel und zahlreiche weitere Relikte, die darauf schließen lassen, dass sich auf der Hangterrasse in der Gemarkung Unterhausen weitaus mehr befand als nur eine schlichte Einsiedelei. Als die Fachleute der Mittelalterarchäologie der Universität Tübingen vor vier Wochen damit begannen, das Terrain mit einem Grabungsteam zu untersuchen, ahnte niemand, auf welch fantastische Funde und Befunde sie stoßen würden. Für die Experten zeichnet sich schon jetzt eine Sensation ab.

Grabungsleiter Michael Kienzle, Doktorand der Mittelalterarchäologie und in der Region durch seine burgenkundlichen Vorträge bekannt geworden, ist zusammen mit seinen Kollegen Dr. Lukas Werther und dem Grabungsassistenten Moritz Foth federführend bei diesem Projekt. Referiert hatte Kienzle unter anderem über die Burgen der Herren von Greifenstein, die die Geschicke der Gegend vom späten 12. Jahrhundert bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts maßgeblich beeinflussten. „Sie bauten sich hier eine kleine, aber gut strukturierte Herrschaft mit mehreren Burgen auf“, so Kienzle. „Ihre Rechte und Güter mit Wiesen, Äckern und Wäldern scheinen auch bis nach Pfullingen gereicht zu haben.“ 1311 jedoch wurden die Burgen der Greifensteiner als unliebsame Konkurrenz von der Reichsstadt Reutlingen zerstört. „Der Sage nach soll der letzte Greifensteiner, als er von einer Pilgerfahrt zurückkehrte, zuhause nur noch rauchende Trümmer vorgefunden haben und sich daraufhin als Einsiedler in den Wald zurückgezogen haben.“

Die Suche nach der Mönchszelle führte die Archäologen zur Terrasse mitten im Wald vor einer Felswand, unbekannt in der Forschung, jedoch in der Bevölkerung schon lange als besonderer Ort geschätzt. Die Überlieferung des „Waldbruderhauses im Hausemer Tal zu Stahleck“, 1534 erstmals genannt, sei laut Kienzle sehr sporadisch und lasse auch keine Schlüsse zu, ob es sich um eine Einsiedelei oder um ein Kloster handelte. Im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts der Uni Tübingen zur „Archäologie und Geschichte der edelfreien Herren von Greifenstein im oberen Echaztal“ wurde im Sommer 2020 eine Sondierungsgrabung in der ehemaligen geistlichen Niederlassung durchgeführt.

Die Ergebnisse präsentierten die Experten kürzlich vor einer großen Runde von Interessierten und Unterstützern. Hierzu gehörten Bürgermeister Peter Nußbaum, die Lichtensteiner Gemeinderäte Alfons Reiske und Rolf Goller, Günther Frick, Joachim Erbe und Dieter Bertsch vom Geschichts- und Heimatverein Lichtenstein, Karl-Philipp Fürst von Urach, die Tübinger Professorin für Mittelalterarchäologie Natascha Mehler, Kreisarchivar Dr. Marco Birn für den Landkreis und Förster Christian Knecht. Verhindert waren die Vertreter der Denkmalbehörden sowie die Professorin für Landesgeschichte an der Universität Tübingen, Sigrid Hirbodian.

Unter hohen Überdeckungen aus Felsschutt fanden sich im Gelände Mauerreste aus meterdickem Kalkstein, in denen die Archäologen die westlichen und östlichen Umfassungsmauern der Anlage sehen. Das Bodenradar fand Gebäude, bestätigt durch die Grabung. Weitere Gebäude seien zu erwarten. Unter dem Waldboden liegen Fußböden aus sorgsam gefügten Kalkplatten und auch Rinnen, die auf eine durchdachte Wasserführung schließen lassen. Vier sprudelnde Quellen seien, so Kienzle, sicher mit ein Grund gewesen, sich hier niederzulassen. Dabei erwies sich der Wasserreichtum des Ortes als seltener Glücksfall, denn mächtige Packungen von Kalksinter überdeckten und konservierten so die Funde. „Eines der besten Bodenarchive der Region“, so Lukas Werther. Die Tübinger Archäologen erwarten mit Spannung in einer Tiefe ab 70 Zentimetern eine Feuchtbodenerhaltung mit organischem Material.

Doch die Funde lassen nicht auf die ärmliche einfache Einsiedelei der Sage schließen, sondern auf eine höherstehende Nutzergruppe. Allerdings sind der Orden und die Bewohner des Klosters unbekannt, noch lassen sie sich im Schriftmaterial nicht fassen. „Das ganze Areal war jahrhundertelang überwachsen, so dass es vergessen wurde“, so Kienzle. Dabei habe Dr. Wilhelm Kinkelin, Autor des Pfullinger Heimatbuchs, noch von aufgehendem Mauerwerk berichtet, das „irgendein Idiot“ um 1880 abgetragen habe. Die Funde jedenfalls, die den Relikten von der Burg Stahleck entsprechen, führten in die Mitte des 14. Jahrhunderts, also noch in die Zeit der Greifensteiner Präsenz im Tal. Sogar Botaniker kommen an der Fundstelle auf ihre Kosten. Gefunden wurden Apothekerbaldrian und vier Sorten Minze, von der eine untypisch für die Region ist und einen Klostergarten vermuten lassen.

Für dieses Jahr ist die Grabung beendet, sie soll jedoch 2021 wieder aufgenommen werden. Zuviel Spannendes steht noch zu erwarten und zu viele Fragen sind offen. „Jeder Cent, den man hier investiert, wird sich auszahlen“, prognostizierte Herzog Karl-Philipp von Urach. „Wir sind an der Uni mitten im Prozess, Personalmittel bereit zu stellen“, so Werther. Doch auch die Kosten für Untersuchungen und Analysen schlagen zu Buche. In großer Runde wurde überlegt, wie man die weiteren Kosten finanzieren könne. Gabriele Böhm

Funde wie diese prächtige glasierte Ofenkachel sprechen für begüterte Klosterbewohner.

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Das sind die Reste eines Fußbodens und einer Wasserführung.

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