Seriöse Form

Tübinger Typografien: die Garamond

08.08.2018

Tübinger Typografien: die Garamond

Am Nonnenhaus bei Geigenbau Gornowskij finden wir auf hellem Mauerwerk zwischen dunklen Fachwerkbalken ein schönes Schriftbeispiel auf Mitte gesetzt. Hier lebte und wirkte der Vater der Botanik Leonhart Fuchs (1501–1566), und welche Schrift könnte an dieser geschichtsträchtigen Stelle und für ein Kunsthandwerk geeigneter sein als die Garamond aus dem Jahr 1540? Dieser Renaissanceschrift wird eine ästhetische Vollkommenheit nachgesagt. Die kreisförmigen Rundungen, der gute Fein/ Fett-Kontrast und die ausgerundeten Serifen verleihen den Buchstaben eine charakterstarke und seriöse Form.

Es waren zunächst venezianische Stempelschneider und Schriftgießer, die erkannten, dass die neue Buchdrucktechnik auch eine andere Formgestaltung als nur die der Gutenbergschen Bibel-Lettern ermöglichte. Sie überarbeiten die karolingischen Minuskeln (Kleinbuchstaben) Karls des Großen und die Großbuchstaben aus der römischen Capitalis Monumentalis und fügten sie zu einer Zweialphabetschrift zusammen, die sich von den gebrochenen Schriften des Hochmittelalters klar abhob. Sie sollte als außerordentlich gut lesbare „Antiqua“ bis heute Bestand haben.

Der französische Schriftschneider und Buchdrucker Claude Garamond (1480 – 1561) nannte seine Antiqua Cicero. Erst um 1620 erhielt sie seinen Namen, als der Franzose Jean Jannon (1580 – 1658) die Buchstaben nachbearbeitete und publizierte. Mit der Garamond wurde der Grundstein der Schriftfamilien gesetzt und sie blieb lange der Maßstab für die Stempelschneider in ganz Europa.

Der Schriftschneider und -gießer war in der Renaissance ja ein eher unbekannter Zeitgenosse im Gegensatz zum Drucker und Verleger, der für die Herausgabe seiner Druckwerke haftete. So landete Garamonds humanistischer Lehrer Antoine Augereau am 24. Dezember 1534 wegen eines Flugblatts als Ketzer auf dem Scheiterhaufen, während Claude Garamond dagegen 1543 den Titel des „königlichen Schriftgießers“ erhielt.

Fast jede Type-Foundry (Versandhaus für Schriften) besitzt seine eigene Garamond. Berühmtheit erlangte unter anderem die Sabon (1967) des berühmten Kalligrafen und Typografen Jan Tschichold und die Minion (1990) des amerikanischen Schriftdesigners Robert Slimbach. Daneben gibt es unzählige Garamond-Repliken, -Remakes, -Klone und sonstige Varianten. Barbara Honner

Unter dem Titel „Altstadtschriften: Tübinger Typografien“ hat Barbara Honner 2017 beim Bürger- und Verkehrsverein eine umfassende und reich bebilderte Studie veröffentlicht.

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Erstellt:
08.08.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 08.08.2018, 01:00 Uhr

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