Vorbild in Bologna

Tübinger Typoprafien: Wallau

20.06.2018

Das A mit oberem Querstrich und ein O mit geneigter Achse sind charakteristische Merkmale für die Aufschrift an der Linz’schen Apotheke am Tübinger Marktplatz. Bild: Honner

Das A mit oberem Querstrich und ein O mit geneigter Achse sind charakteristische Merkmale für die Aufschrift an der Linz’schen Apotheke am Tübinger Marktplatz. Bild: Honner

Auf den ersten Blick erscheint sie nicht außergewöhnlich, auf den zweiten aber erkennen wir bei der Aufschrift „Apotheke Homöopathie“ an der Linz’schen Apotheke am Tübinger Marktplatz ein A mit eigenartigem Querstrich und ein O, dessen Achse geneigt ist. Wir haben es hier mit der „Wallau“ zu tun, die 1930 von der Schriftgießerei Gebr. Klingspor veröffentlicht wurde. Noch heute haftet dem Namen Klingspor etwas Glanzvolles an, denn die Brüder Karl und Wilhelm führten die Offenbacher Schriftgießerei während der Jahrhundertwende innerhalb weniger Jahre zu Weltruhm. Karl war außerdem ein Schriftgießer, der Künstler als Schriftenentwerfer heranzog. 1906 beschäftigten die Klingspors neben dem berühmten Maler Otto Eckmann oder dem gefragten Buchkünstler Walter Tiemann auch einen noch unbekannten Ziseleur und ausgebildeten Zeichner, der unbedingt ins Buchgewerbe wollte. Rudolf Koch (1876–1934), der sich zeitlebens als „Schreiber“ titulierte, sollte der Schriftgießerei noch alle Ehre machen.

Kochs Talent für schöne Schriften zeigt sich in seinem Portfolio, zu dem auch der Weltklassiker Kabel gehört. Aber anders als diese dem Bauhaus nahestehende Typo, hatten es Koch die gebrochenen Schriften angetan. Wir verbinden damit meist die Fraktur (ab 1513), diese enge, hohe Schrift mit rauten- bzw. würfelförmigen Abstrichen und den typischen Brechungen, die in Deutschland unter dem Einfluss der aufstrebenden Gotik entstanden ist.

Auch die Wallau gehört zu den gebrochenen Schriften, was wir aber erst an ihren Kleinbuchstaben erkennen. Ihr historisches Vorbild entstand in Bologna. Hier entwickelten sich eher runde Schriften mit kurzen Ober- und Unterlängen, Rundungen statt der harten Winkel und mit insgesamt weiteren Formen, denn in Italien nämlich mochte man diese gotischen, eckigen Schriften nicht. Sie gingen Ende des 14. Jahrhunderts als Rundgotische oder Rotunda in die Schriftgeschichte ein. Koch wurde von einem Blatt aus einem italienischen Messbuch aus demselben Jahrhundert inspiriert, das in seiner Werkstatt hing, und arbeitete viele Jahre mit der Breitfeder an seinem Entwurf. Am Ende widmete er diese moderne Fraktur dem Mainzer Buchdrucker Heinrich Wallau. Barbara Honner

Unter dem Titel „Altstadtschriften: Tübinger Typografien“ hat Barbara Honner 2017 beim Bürger- und Verkehrsverein eine umfassende und reich bebilderte Studie veröffentlicht.

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Erstellt:
20.06.2018, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 20.06.2018, 01:00 Uhr

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