Gôgenaufstand 1831

Tübinger Weingärtner gingen auf die Barrikaden

18.01.2017

Tübinger Weingärtner gingen auf die Barrikaden

Rudolf Kost ist auf dem Heimweg. Es ist Sonntag, 16. Januar 1831. Es ist kalt, die Straßen sind vereist und jeder halbwegs mit Vernunft begabte Mensch möchte so schnell wie möglich in die eigenen vier Wände, neben den warmen Ofen. Den Landjäger, der gerade aus welchen Gründen auch immer, hinter zwei jungen Kerlen her ist, versteht Kost so wenig wie höhere Mathematik. Kann er die beiden nicht in Frieden lassen? Es ist schließlich Sonntag.

Kost hat nicht um das Landjägerkorps gebeten, das seit zwei Jahren unter dem Befehl des Herrn Regierungskommissars in Tübingen für Recht und Ordnung sorgen soll. Was in erster Linie bedeutet, jeden, dessen Nase ihnen nicht passt, ins Loch zu stecken. Wenn sie sich wenigstens um die Dinge kümmern würden, die in Tübingen wirklich im Argen liegen! Als die Verfolgungsjagd des glücklosen Landjägers ihr abruptes Ende auf dem glatten Eis findet, mit dem der Allerwerteste des Herrn Gendarmen allzu nahe Bekanntschaft macht, kann Weingärtner Kost nicht umhin, zu bemerken: „Es wäre besser, ihr Herrn, wenn ihr hier in der unteren Stadt auch Sand streuen und die Schleifen aufhauen ließet, wie es in der obern geschieht, als den jungen Leuten nachsetzen, so würde niemand fallen.“

Das hätte er besser bleiben lassen! Der Landjäger kommt auf die Füße, stellt fest, dass die beiden jungen Kerle über alle Berge sind und findet in dem Weingärtner ein neues Opfer. Wie kann dieser Gôg, diese Raupe aus der unteren Stadt, es wagen, die Arbeit eines Mitglieds des königlichen Landjägerkorps in Frage zu stellen? Der Mann gehört sofort verhaftet! Kost kann nicht glauben, was ihm passiert: Der Landjäger stürzt auf ihn zu und dreht ihm den Arm auf den Rücken. Nicht mit ihm! Kost, ein starker Mann, windet sich los und haut ab. Der Landjäger hinterher. So ein Dackel! Kost hechtet über einen Zaun, um durch die Gärten schneller nach Hause zu kommen. Da zieht der Gendarm tatsächlich den Säbel. Den ersten Hieb spürt der Weingärtner noch. Als er erwacht, ist er daheim in der Bachgasse. Streng bewacht. In den nächsten Tagen kommt Tübingen nicht zur Ruhe. Nachts ziehen junge Kerle aus der Unterstadt durch die Straßen, brüllen „Es lebe die Freiheit!“ und singen das Räuberlied von Schiller: „Heut kehren wir bei Pfaffen ein, bei reichen Pächtern morgen; da gibt’s Dukaten, Bier und Wein, fürs Übrige, da lässt man fein den lieben Herrgott sorgen.“ Flugblätter kommen in Umlauf, in denen gegen die Obrigkeit gehetzt wird. Die Stimmung ist aufgeheizt.

1831 hatte Tübingen etwa 8000 Einwohner und war auf dem besten Weg, eine Universitätsstadt zu werden. Das akademisch gebildete Bürgertum gab den Ton an und schaute arrogant auf die Weingärtner und Handwerker in der Unterstadt hinab, deren Arbeit jedoch immer noch das Rückgrat der Tübinger Wirtschaft bildete. Viele Studenten gebärdeten sich als Vorkämpfer vor allem nationaler Einheit und Freiheit, fanden es aber völlig normal, bis in die frühen Morgenstunden zu feiern und zu randalieren, Mädchen zu belästigen und groben Unfug zu treiben.

Als schließlich in der Nacht zum 21. Januar eine beeindruckende Menschenmenge vor das Haus des Oberamtmanns zieht, um lautstark die Entfernung der Landjäger zu fordern und andernfalls mit Totschlag zu drohen, bekommen es die unbeliebten Gendarmen mit der Angst zu tun und türmen durch das Dreckstörle beim Rübenloch, um sich in Waldenbuch in Sicherheit zu bringen. Die Tübinger Bürger fürchten um ihr Leben. Der Senat der Universität macht den Vorschlag, Studenten zu bewaffnen und als Sicherheitsgarde einzusetzen. Für wenige Stunden scheinen in Tübingen bürgerkriegsähnliche Zustände zu drohen – auf der einen Seite die aufgebrachten Unterstadtbewohner, die zwischen die Konflikte von Landjägern und Studenten geraten, auf der anderen die Bürger und schließlich auch die Studenten, die sich zwar gerne revolutionär gebärdeten, aber letztendlich doch wussten, wohin sie gehörten.

Am nächsten Morgen findet eine Krisensitzung statt. Der Oberamtmann entlässt auf eigene Verantwortung die Landjäger aus der Stadt, was ihm eine Strafversetzung einbringen wird. Die Verfasser der „Schmähschriften“, zwei Studenten, ein Bäcker und ein Knopfmacher, werden verhaftet und es kehrt wieder Ruhe ein. Auch bei Rudolf Kost. Andrea Bachmann

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Erstellt:
18.01.2017, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 18.01.2017, 01:00 Uhr

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