Aus der Luft und zu Fuß (67)

Weilheim

27.02.2019

Weilheim

112 Meter lang ist die Front aneinander gebauter Scheunen, die das Ortsbild von Weilheim prägt. Sie wurden 1850 alle gleichzeitig nach denselben baulichen Grundsätzen errichtet, nachdem am 16. August 1649 die größte Brandkatastrophe in der Geschichte Weilheims etwa zehn große Scheunen mitsamt ihren Nebengebäuden und diversen Schuppen vernichtet hatte.

Die Nikomedeskirche, benannt, nach einem frühchristlichen Märtyrer, der als Schüler des Apostel Petrus im ersten Jahrhundert als Priester in Rom lebte, hatte das Feuer überstanden. Sie wurde zwischen 1499 und 1521, also noch kurz vor der Reformation, auf den Fundamenten einer älteren Vorgängerkirche erbaut. Für eine kleine Dorfkirche verfügt das Gotteshaus über einen Chor mit einem erstaunlich schönen, reichen Netzrippengewölbe mit sieben Schlusssteinen: Vermutlich ist sie eine der „kleinen Schwestern“ der Tübinger Stiftskirche, die von einem Mitarbeiter des Baumeisters Hans Augsteindreyer erbaut wurde. Die Nähe Weilheims zu dem nur drei Kilometer entfernten Tübingen ist hier besonders offensichtlich. Zudem lag das Patronatsrecht von 1441 bis 1806 beim Tübinger Spital und die Emporenbilder malte der Tübinger Stadtmaler und Postbote Gottfried Schreiber, der auch mit der Ausgestaltung des Universitätskarzers beauftragt wurde, im 18. Jahrhundert.

1920 verbrachte der junge Theologie Paul Schneider aus Gießen ein Semester an der Universität Tübingen. Er wohnte im Weilheimer Pfarrhaus bei der Pfarrerfamilie Dieterich und verliebte sich in deren Tochter Margarete. Sechs Jahre später wurde das Paar in der Nikomedeskirche von Margaretes Vater getraut und zog anschließend nach Hochelheim, wo Schneider seine erste Pfarrstelle hatte. Paul Schneider wurde neben Dietrich Bonhoeffer einer der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts, die sich während des Nationalsozialismus der Bekennenden Kirche anschlossen und ihren Protest gegen das NS-Regime schließlich mit dem Leben bezahlten: Schneider wurde 1937 nach Buchenwald deportiert und kam dort in verschärfte Einzelhaft. Trotzdem gelang es ihm, durch das Zellenfenster hindurch seine Mithäftlinge seelsorglich zu begleiten. Als er 1938 umgebracht wurde, galt er längst als „Prediger von Buchenwald“.

Auch die Geschichte des Weilheimer Kneiples, das seit dem 18. Jahrhundert existiert, wurde von der Nähe des Fleckens zur Universität geprägt: Nur eine knappe Stunde Fußmarsch von Tübingen entfernt befand sich das zwischen Tübingen und Rottenburg gelegene Wirtshaus jedoch bereits außerhalb der akademischen Gerichtsbarkeit der Tübinger Universität: Dinge, die den Studenten dort verboten waren, wie zum Beispiel das Fechten oder Würfelspiel, wurden hier geduldet, weshalb das Wirtshaus sogar über einen Fechtboden verfügte. 1816 wurde hier von 58 Studenten die Tübinger Burschenschaft gegründet, der Tübinger Allgemeine Burschenverein, der sich ab 1817 „Germania“ nannte. Und 1857 war das Weilheimer Kneiple Gründungsort der AMV Stochdorphia, der ersten nicht farbentragenden Verbindung Deutschlands. Andrea Bachmann / Bilder: Erich Sommer

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Erstellt:
27.02.2019, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 27.02.2019, 01:00 Uhr

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