Der Kommentar

Vom Keller in das Stadtmuseum

23.05.2018

Von Stefan Zibulla

Wer zwischen den Zeilen liest, erfährt oft mehr als das, was ein Text an Informationen vordergründig hergibt. Barbara Honner schaut noch genauer hin. Mit ihrem detailverliebten Blick auf die Tübinger Altstadtschriften nimmt die Medienfachfrau des Verkehrsvereins die Schriftzüge an den Fassaden von Apotheken, Gaststätten oder Fachgeschäften in den Fokus, schaut dabei hinter jeden einzelnen Buchstaben und beschreibt, was es mit den Minuskeln, Ligaturen, Punzen und Serifen auf sich hat.

Bei dieser mikroskopischen Analyse entdeckt die Germanistin, die nach ihrem Studium als freie Journalistin und Verlagslektorin gearbeitet hat, historische Perspektiven. Sie interpretiert Schilder, Fassadenaufschriften oder Ghostletters als Zeitzeugen, die das kulturelle Konzept einer Stadt mitbestimmen.

Honner gräbt nicht nur kuriose Geschichten aus den Tiefen der Lokalgeschichte aus. Die Autorin eines ansprechend gestalteten Grundlagenwerkes über die Tübinger Aufschriften steigt auch in die Höhe, um auf Leitern metallene Lettern abzuschrauben und so vor der Schrottpresse zu retten. Dabei ist eine kleine Sammlung von acht Schriftzügen entstanden, die jetzt vom Tübinger Stadtmuseum übernommen wurde. Alte, handgefertigte Blechbuchstaben aus dem Keller der Mayer‘schen Apotheke oder der verspielte Blickfang des ehemaligen Optikers Lunette ergänzen den städtischen Bestand an Hausnummern, Straßenschildern und Firmennamen im Depot und werden in Zukunft möglicherweise als Teil einer neuen Dauerausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.

Mit ihrer Kooperation wollen Barbara Honner und das Stadtmuseum ein Bewusstsein für den Wert von Stadtschriften schaffen. Damit sie im Idealfall an den Gebäuden bleiben, an denen sie ursprünglich angebracht wurden.

Auch wenn Immobilien ihren Besitzer wechseln und anders genutzt werden oder gar der Abrissbirne zum Opfer fallen: Die Schriftzüge für das „Hotel Hospiz“ oder die Gaststätte „Goldene Zeiten“ müssen nicht völlig aus dem kollektiven Gedächtnis der Unistadt verschwinden. Die Tübinger können einmal nachschauen, ob auf ihren Dachböden sowie in Garagen oder Kellern noch Schätze in Form von Buchstaben oder Ladenaufschriften zu bergen sind. Dazu soll auch die neue Serie anregen, die der TAGBLATT ANZEIGER in der aktuellen Ausgabe unter dem Titel „Tübinger Typografien“ startet.

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Erstellt:
23.05.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 23.05.2018, 01:00 Uhr

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