Motivator und Zuhörer

Wie Dominik Grunwald seine Arbeit in der Psychiatrie versteht

Sonderbar, schwach und gewalttätig: Dies sind einige der gängigen Assoziationen, die in breiten Bevölkerungsschichten über Menschen mit psychischen Erkrankungen kursieren. Der Tübinger Psychiatriefachpfleger Dominik Grunwald möchte mit solchen Vorurteilen aufräumen.

12.05.2021

Dominik Grunwald kämpft gegen falsche Vorurteile über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Bild: Julia Rojewska

Dominik Grunwald kämpft gegen falsche Vorurteile über Menschen mit psychischen Erkrankungen. Bild: Julia Rojewska

Tübingen. Die Filmindustrie bedient sich gerne dem Motiv der schaurigen, psychiatrischen Einrichtung. Doch was sagt es über die Gesellschaft aus, wenn die Therapie von psychischen Krankheiten zumeist nur in Genres wie Horror und Thriller thematisiert wird?

„Die meisten Menschen erkranken bis zur Lebensmitte mindestens an einer psychischen Störung“, sagt Dominik Grunwald. „Wir sollten die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen nicht durch Narrative in Film und Fernsehen verstärken“, betont der Pfleger an der Tübinger Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie.

Doch was wäre ein angemessener Zugang zu einem psychisch Erkrankten? Möglicherweise ist bereits dieser Terminus wertend, weil nicht der Mensch, sondern seine Erkrankung im Fokus steht. Auch Grunwald legt Wert auf das „Wording“. „Ich lese gerade ein Buch mit dem Titel „Irren ist menschlich“, erklärt der 32-Jährige. „Es beschreibt meinen Patienten nicht als depressiv-erkrankten, bipolar-erkrankten oder angst-erkrankten, sondern als Mensch mit vielen Ängsten oder als Mensch, der die Welt anders wahrnimmt.“

Seine Patienten seien Menschen mit Schwierigkeiten, mit denen sie gerade nicht ganz zurechtkommen, stellt Grunwald fest. „Ich fungiere dann einfach als eine Art Profi für den Alltag und versuche, in bestimmten Lebensbereichen auszuhelfen.“ Ob als Motivator, Zuhörer oder Organisator: Grunwald passt die Pflege täglich den individuellen Bedürfnissen seiner Patienten an.

Die Corona-Pandemie erschwert die Arbeit des Pflegers. Der Austausch, der die Voraussetzung zur Entwicklung einer Vertrauensbasis zwischen Pflegepersonal und Patient bildet, ist stark eingeschränkt. „Ich würde einem Fremden auch nicht meine ganze Geschichte verraten“, räumt Grunwald ein. Dabei hänge der Erfolg der Therapie bei einigen Patienten davon ab, die Hintergründe der Erkrankung zu kennen.

„Freizeitaktivitäten sind für meine Arbeit so bedeutsam, wie die gemeinsame Strukturierung eines beständigen Alltags meiner Patienten“, berichtet Grunwald. Als Beispiel nennt er einen Kletterausflug mit einem Patienten, der dessen Selbstwertgefühl stärkte und seine Lebensfreude förderte. Schließlich hat er sich Grunwald anvertraut. Die Therapie einer psychischen Erkrankung kann viele Monate oder sogar Jahre in Anspruch nehmen. Da ist es nach den Erfahrungen von Grunwald wichtig, dass die Patienten einen festen Ansprechpartner auf der Station haben, mit dem sie sich gut verstehen.

Die Verantwortung für das Wohlergehen von zahlreichen Patienten kann jedoch auch belastend sein. So berichtet Grunwald davon, dass suizidale Gedanken bereits erahnt werden müssen, bevor sie zur wahren Bedrohung für den Patienten werden. Auch das Zeigen von Empathie ist in seinem Beruf von zentraler Bedeutung. Allerdings kann sich zu viel Einfühlsamkeit und Teilnahme auch als schädlich erweisen: „Es kommt auch schon mal vor, dass die Krankheit die Oberhand über die Persönlichkeit meines Patienten gewinnt und er ganz schön persönlich werden kann.“ Den Umgang mit solchen Situationen müsse man lernen. Weshalb Dominik Grunwald derzeit eine Weiterbildung macht, die ihm helfen soll, seine Rolle in der Therapie mit angemessenem Abstand zu den Patienten auszufüllen.

Trotz aller Schwierigkeiten bezeichnet Grunwald seinen Beruf als Traumjob. „Meine Kollegen und Kolleginnen fungieren nach einem harten Tag schon mal als eine Art Auffangnetz. Der Zusammenhalt auf der Station ist großartig.“ Allerdings wünscht er sich von der Politik mehr Wertschätzung für die Arbeit in der Psychiatrie. „Vom Klatschen habe ich nichts. Und für unsere Kompetenz und die Verantwortung, die wir täglich tragen, sind unsere Gehälter zu niedrig!“ Julia Rojewska

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Erstellt:
12.05.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 41sec
zuletzt aktualisiert: 12.05.2021, 01:00 Uhr

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