Singen in der Generalpause

Wie Solosängerin Christine Reber und Solosänger Matthias Lutze die Corona-Pandemie erleben

07.01.2021

Christine Reber ist Sopranistin. Bild: Markus Niethammer

Christine Reber ist Sopranistin. Bild: Markus Niethammer

Die Corona, ein Halbkreis mit einem Punkt, ist in der Musik ein Zeichen für eine Generalpause – eine Pause, die in allen Stimmen zugleich vorkommt. Die Sopranistin Christine Reber und der Bass Matthias Lutze haben ein Jahr Corona hinter sich. Der TAGBLATT ANZEIGER sprach mit ihnen.

Wie lebt es sich als Sängerin und als Sänger zu Corona-Zeiten?

Matthias Lutze: Im Frühling war es furchtbar, den ersten Lockdown konnte ich kaum glauben, das war eine richtige Schockstarre. Allerdings hat mir auch der Frühling geholfen, da raus zu kommen. Im Sommer begannen dann wieder die ersten Konzerte und Projekte, zum Beispiel mit meinem Ensemble Polyharmonique. Ich habe auch eine 50-Prozent-Stelle beim RIAS-Kammerchor in Berlin, das hat mich finanziell einigermaßen gerettet.

Einige Kollegen von mir haben sich Jobs zum Beispiel im Supermarkt suchen müssen, einer arbeitete tatsächlich als Totengräber. Das blieb mir erspart – aber nicht auf der Bühne stehen zu können, das war und ist schlimm.

Christine Reber: Ich kann gar nicht sagen, ob es mir gut oder schlecht geht. Im Frühjahr habe ich noch gedacht, das halte ich aus, aber jetzt verliere ich langsam die Geduld. Ich habe die Leidenschaft fürs Singen in mir und kann sie nicht herauslassen. Und es macht mich wütend, wie wenig der Staat für Kunst und Kultur übrig hat. Aber ich merke auch, dass es uns in Deutschland noch relativ gut geht, im Vergleich zu den USA oder Mittelamerika. Da konnte sich eine Kollegin Miete und Krankenversicherung nicht mehr leisten. Es ist entsetzlich, was da passiert!

Wie sehr ist Ihre Auftragslage eingebrochen? Und hatten Sie einen Ausgleich?

Christine Reber: Bei den Konzerten sind mir 80 Prozent weggebrochen, die Arbeit mit meinen drei Chören war auch nicht mehr möglich. Glücklicherweise bin ich vielseitig aufgestellt und habe mit Stimmbildung und Gesangsunterricht noch etwas auffangen können. Außerdem gab es ein paar Aufträge vom Rundfunk und ich spreche für amerikanische Sänger/innen deutsche Texte ein, damit sie die korrekte Aussprache üben können. Das war natürlich alles nur sporadisch. Ich schaukele mich so durch das Jahr und lebe von meinen Ersparnissen.

Matthias Lutze: Mir sind etwa 95 Prozent meiner Auftritte weggebrochen, 50 Prozent sind dann eher spontan und durch Eigeninitiative wieder dazu gekommen. Ich wäre im Dezember mit dem „Messias“ auf Europatournee gewesen, das fiel natürlich aus, stattdessen habe ich aber ein paar Auftritte in der Kirche gehabt – dank einiger wirklich engagierter Kirchenmusiker, die uns Konzerte ermöglicht haben. So konnte ich am 5. Dezember in Tübingen in der Motette singen, das war ein Riesenglück und wichtig für die Seele. Außerdem hatte ich einige Radioproduktionen. Das fand ich sehr fair, dass da über Weihnachten nicht einfach nur die alten Konserven aufgelegt worden sind.

Im Nachhinein war es eine sehr eigene, aber sehr beschäftigte und emotional intensive Advents- und Weihnachtszeit: Einerseits war ich glücklich, überhaupt Musik machen zu können, andererseits wirklich traurig, in leeren Kirchen zu singen.

Christine Reber: In Stuttgart hatte ich Heiligabend einen Auftritt in der Kirche. Da waren nur ganz wenige Menschen, ich habe zwei Minuten gesungen und es war berührend, in die Gesichter meiner Zuhörer/innen blicken zu können. Das war so wertvoll – für mich und die anderen. Es ist wichtig, zu wissen, dass Menschen mit mir in diesem Klang sind und in dem Moment.

An Neujahr und am 6. Januar singe ich in der Tübinger Stiftskirche, dafür bin ich immens dankbar. Ich finde es wirklich toll, wie die Kirchen alles vorbereitet haben und wie umsichtig alle sind.

Wie fühlt es sich für Sie beide an, wenn das, was Sie mit so viel Leidenschaft machen, plötzlich für andere zu einer Bedrohung wird?

Christine Reber: Ich fühle mich da schon ein bisschen schlecht, ich bin ja sozusagen die Böse, die ihren Atem den anderen direkt um die Ohren bläst. Das Atmen macht schließlich einen großen Teil des Singens aus. Beim Proben singe ich je nach Raumgröße mit Maske, weil ich auch dem Pianisten gegenüber keine Bedrohung sein möchte.

Allerdings kenne ich niemanden, der sich nachgewiesenermaßen beim Musizieren infiziert hat. Ich fände es gut, wenn noch mehr geforscht wird, das Freiburger Institut für Musikermedizin macht da ja schon viel.

Matthias Lutze: Das habe ich gar nicht an mich rangelassen, dass ich für andere „gefährlich“ sein kann, schon um mich selbst zu schützen. Es ist schon hart genug, dass einem plötzlich die Daseinsberechtigung abgesprochen wird. Da habe ich dann mit neuen eigenen Video- und CD-Projekten die Flucht nach vorn angetreten, das hat funktioniert. Ich komme mir nicht nutzlos vor, das habe ich von mir fern halten können.

Was wünschen Sie sich für neue Jahr?

Matthias Lutze: Ich möchte wieder Konzerte vor Publikum geben können und wünsche mir sehr, dass es einen geregelten Konzertbetrieb geben kann, natürlich mit allen entsprechenden Hygienevorschriften. Musik und Kultur sind Medizin für eine gesunde Gesellschaft.

Christine Reber: Ich hoffe, dass sich alles wieder entspannt, wünsche mir, dass die Menschen gelernt haben, was wirklich wichtig ist und freue mich sehr auf die Musik und das Miteinander.

Interview: Andrea Bachmann

https://www.christinereber.com/

http://www.matthiaslutze.de/

Matthias Lutze ist Bass- und Bariton-Sänger. Bild: Christian Palm

Matthias Lutze ist Bass- und Bariton-Sänger. Bild: Christian Palm