Aufstieg und Fall

Als die Tübinger Pfalzgrafen noch mächtig waren

24.08.2016

Rudolf I. entfaltete auf Hohentübingen den ganzen Glanz der Stauferzeit. Archivbild: Bachmann

Rudolf I. entfaltete auf Hohentübingen den ganzen Glanz der Stauferzeit. Archivbild: Bachmann

Man traf sich vermutlich an diesem 23. August 1292 im Parlatorium des Klosters. Ein Bruder wird den Pfalzgrafen Eberhard und sein Gefolge durch das Ostportal in den quadratischen Raum mit den gedrungenen Säulen geführt haben, der durch vier kleine Fenster nur notdürftig erhellt wurde. Vielleicht war Abt Friedrich sensibel genug, ihn nicht warten zu lassen. Es ist auch alles vorbereitet: auf einem Tischchen die fertige Urkunde, Siegellack und Kerzen, die schwarze, beständige Gallustinte und frisch geschnittene Federn. Nach dem Austausch einiger Höflichkeiten wird die Urkunde verlesen, unterzeichnet, gesiegelt: Pfalzgraf Eberhard von Tübingen, genannt Scherer, verkauft um seiner Schulden willen mit Zustimmung seines Vetters Gottfried und seines Bruders Rudolf, Pfalzgrafen, dem Kloster Bebenhausen um 600 Pfund Heller alle seine Besitzungen in Reusten, Oberndorf und Oberkirch . . .“

Es ist der Beginn eines großen Ausverkaufs. Schon 1289 hatte Eberhard dem Kloster Bebenhausen alle seine Weingärten in Unterjesingen verkauft, damals wie heute eine Grand-Cru-Lage in der Region. Vielleicht hatte er damals noch Hoffnung, mit dem Verkauf Schlimmeres verhindern und die wirtschaftlichen Verhältnisse der Tübinger Pfalzgrafen wieder auf solide Füße stellen zu können. Aber es hatte nichts genutzt. Bereits eine Woche nach dem Verkauf von Reusten und Umgebung verpfändete Eberhard seine Güter in Herrenberg-Gültstein an seine Schwägerin, die Edelfrau Luitgard von Schelklingen. Im Oktober folgte das Dorf Reusten den übrigen Besitzungen, im Januar kamen ein Hof und ein Waldstück in Unterjesingen dazu. Käufer war jedes Mal das Zisterzienserkloster in Bebenhausen, das auf diese Weise zum reichsten Grundherren der Region aufstieg, während die Tübinger Pfalzgrafen mit ihrem Besitz auch immer mehr an Macht und Einfluss verloren.

Es war noch gar nicht so lange her, da waren die Grafen von Tübingen, die um 1050 ihre Burg über dem Neckar errichtet hatten, eine der ersten Familien in Schwaben. Eine geschickte Heiratspolitik machte sie zu Verwandten und damit auch zu Parteigängern der Welfen und vor allem der Staufer, im Investiturstreit unterstützte Graf Hugo von Tübingen den staufischen Herzog von Schwaben gegen Kaiser Heinrich IV.. Ihnen gelingt ein rasanter politischer Aufstieg. 1146 erwarben sie das Pfalzgrafenamt von Schwaben und wurden damit die Stellvertreter der Staufer und deren engste Parteigänger. Der Pfalzgrafentitel bescherte ihnen sowohl Ansehen als auch eine politische und wirtschaftliche Macht, die weit über Tübingen hinausging: die dreilatzige Gerichtsfahne, die ihnen die übergreifende Gerichtsbarkeit im gesamten Herzogtum Schwaben zusicherte, wehte nicht nur über Tübingen, sondern fand sich sogar im Vorarlberg oder im Breisgau.

Zur Absicherung ihrer Herrschaft und Förderung ihrer Einkünfte gründeten sie Städte wie Böblingen oder Herrenberg. Rudolf Scherer, der Bruder des Pfalzgrafen Eberhard, gründete die Stadt Sindelfingen, in der er Stadtherr und Stiftsvogt war. Warum die beiden den Beinamen Scherer führten, ist nicht geklärt. Vielleicht leiteten sie ihn von der Stadt Scheer an der Donau ab, die jedoch nicht ihnen, sondern einem ihrer Verwandten, dem Pfalzgrafen Hugo von Montfort, gehörte.

Die beiden Brüder hatten es schon schwerer als ihre Vorfahren: Ihr Großvater Rudolf I. entfaltete auf Hohentübingen den ganzen Glanz der Stauferzeit, gründete das Kloster Bebenhausen als Grablege für sich und seine Angehörigen und baute die Königswarte bei Klosterreichenbach: eine Burg, deren wichtigste Funktion es war, Macht, Ruhm und Ehre der Pfalzgrafen zu demonstrieren, ähnlich wie die Geschlechtertürme in Italien.

Als 1268 der schöne junge letzte Stauferkaiser Konradin sein Leben auf dem Schafott beendete, begann der Niedergang der Pfalzgrafen. Noch im selben Jahr verkaufte der Neffe von Rudolf Scherer die Pfalzgrafenwürde und die einst hohen Herren verzichteten auf die Ausübung ihres Amtes. Erbteilungen schmälerten ihr Vermögen ebenso wie Missernten, der Verfall des Tübinger Pfennigs oder teure Klostergründungen. Bis 1342 konnten sie sich noch in Tübingen behaupten. Dann verkaufte Pfalzgraf Götz Stadt und Burg an die Grafen von Württemberg.Andrea Bachmann

Das Siegel des Pfalzgrafen Eberhard von Tübingen, Scherer genannt. Bild: Bachmann

Das Siegel des Pfalzgrafen Eberhard von Tübingen, Scherer genannt. Bild: Bachmann

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Erstellt:
24.08.2016, 01:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 24.08.2016, 01:00 Uhr

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